Wir Ertrunkenen
erste Mal war es nichts anderes gewesen als eine unreife Jugendliebelei – und von Sophies Seite her nicht einmal das, sondern lediglich ein frivoles Spiel mit einem leicht zu beeinflussenden Jungen. Das gab sie selbst zu, als sie darüber sprachen. Er kannte sie also kaum. Das Einzige, was ihn an sie gebunden hatte, war das Ungeklärte ihres seltsamen Abschieds und ihres plötzlichen Verschwindens.
Für Knud Erik hatte sie ihre Anziehungskraft verloren. Doch er fühlte sich grundsätzlich nicht von Frauen angezogen. Das war das Problem. Ihn erregte die Ekstase des Augenblicks beim Explodieren der Bomben, nichts anderes. Er zog es vor, in der Dunkelheit zu lieben, ein Gesicht wollte er nur im Phosphorschein einer Bombe sehen, die möglichst nahe detonierte. Er hatte den Verdacht, dass Sophie wie er war und Bluetooth irgendwo unter den Blitzen und Explosionen einer Bombe empfangen hatte.
Etwas verband sie, aber es war keine aufkeimende Begierde. Es waren die eiskalten Minuten kurz vor dem Tod, die sie zusammen im Wasser verbracht hatten, als er ins Meer gesprungen war, um sie zu retten. Und doch wollte er im Grunde nur sich selbst retten, sie war lediglich ein zufälliger Anlass.
Sie sprachen oft miteinander, und das war die eigentliche große Veränderung seines Lebens. Sie zog aus der Kapitänskajüte aus. Helge überließ ihr seine Kajüte und quartierte sich beim zweiten Steuermann ein. Doch obwohl sie nicht mehr in seiner Kajüte schlief, war es mit der Einsamkeit der Kapitänsunterkunft vorbei. Sophie war ein paar Jahre älter als Knud Erik und gleichermaßen erfahren wie desillusioniert. Ihre Jugend hatte sie im Überfluss genossen, doch diesem Leben war sie
inzwischen entwachsen, ohne dass etwas wirklich Neues an seine Stelle getreten wäre. Sie hatte die Welt gesehen. Er konnte eine Hafenstadt nach der anderen aufzählen, und sie antwortete ihm wie ein Seemann. So war der Ton zwischen ihnen.
Es gab einen Punkt, den er nie überschritt – und er versuchte es auch nicht. Er suchte nie nach der Frau in ihr, und wahrscheinlich akzeptierte sie ihn deswegen. Einst hatte sie sich hinter der hochgestochenen literarischen Sprache eines belesenen und verträumten jungen Mädchens versteckt, jetzt war sie ein mit allen Wassern gewaschener Seemann in einer Welt, die er kannte und in der er sich sicher fühlte. Er hatte gar nicht den Wunsch herauszufinden, was sich dahinter verbarg. Er hatte weder die Kraft noch den Mut dazu. Antons Rat galt noch immer: Am besten ist es zu vergessen.
Er wollte niemanden allzu gut kennenlernen, denn er fürchtete, etwas zu finden, das ihn vernichten könnte.
Knud Erik stellte die Whiskyflasche in den Schrank und nahm sie nicht wieder heraus. Er überwand seinen Abscheu vor Herman und fing an, die Messe aufzusuchen. Bluetooth zog ihn an. Obwohl er das Kind nicht mit seinem Samen gezeugt hatte, wäre es doch ohne ihn nicht auf die Welt gekommen. Er hatte auf der großen Schwelle zwischen Leben und Tod gestanden und das Neugeborene auf die richtige Seite gezogen. Nein, er wusste nicht, ob er sich selbst gerettet hatte. Aber er wusste, dass er Bluetooth gerettet hatte, und das war wichtiger. Er hatte keine Kinder und empfand es plötzlich als sein größtes Versäumnis. Harald Blauzahn war nicht sein Kind. Aber er hatte sich mit seinem Todessprung in die nur zwei Grad warmen Wellen das Recht auf ihn erworben.
Es war ein Zufall, dass er Miss Sophie wiedergetroffen, aber es war keiner, dass er Bluetooth gerettet hatte.
Das Leben hatte auf ihn gezeigt und ihn benutzt.
Am Tisch in der Messe erzählte Anton von einem Mann, den er Laurids nannte und der vor beinahe hundert Jahren an einer Schlacht in der Eckernförder Bucht teilgenommen hatte. Er stand an Deck eines Schiffs,
das in die Luft flog. Es war ihm ungefähr so ergangen wie Moses Huntington. Er war auf den Füßen gelandet.
Anton erzählte von einem Lehrer namens Isager, dessen Schüler versucht hatten, ihn zu verbrennen, und von Albert, der den gesamten Stillen Ozean nach seinem verschwundenen Vater abgesucht hatte und mit dem Schrumpfkopf von James Cook nach Hause zurückgekehrt war.
Knud Erik, der von den Geschichten auch gehört hatte, ja für einen Teil davon sogar Antons Quelle war, unterbrach ihn. Es gab Dinge, die er besser wusste. Er ergriff das Wort und erzählte vom Ersten Weltkrieg und Alberts Visionen. Allerdings erklärte Anton, dass es sich nicht ganz so verhalten habe, und Knud Erik verstand, dass auch Anton in
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