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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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kurzbeiniges, aufgeschwemmtes Wesen von unbestimmbarer Rasse. Sein kurzes Fell war weißgrau. Unten am Bauch sah er rosa wie ein Schwein aus. Wir hatten Karo auf Frau Isagers Arm sitzen sehen. Sie war ebenso feist wie er, mit Augen, die von den Fettmassen der Wangen wie bei einem Chinesen zu Schlitzen zusammengepresst wurden.
    Wir wussten nicht viel über sie, obwohl wir sie im Verdacht hatten, die Ursache all unseres Unglücks zu sein. Man erzählte sich, dass sie Isager regelmäßig mit ihren großen Schinkenpranken verprügelte; und
es hieß, dass diese Demütigungen seine Brille auf die Nasenwurzel rutschen ließen.
    Nun lief der Hund mit einer Miene über die Straße, als wäre er daheim in der Stube, und möglicherweise nahm er es sogar an, denn es gab niemanden unter uns, der ihn schon einmal allein in der Stadt hatte herumlaufen sehen.
    «Karo», sagte Hans Jørgen und schnippte mit dem Finger.
    Der Hund blieb stehen. Sein Unterkiefer stand vor, die Zunge hing ihm zwischen den Lefzen heraus. Wir spürten, wie in uns die Wut aufstieg. Plötzlich hassten wir ihn. Der fette Lorentz trat nach ihm, aber Hans Jørgen hob die Hand. Dann begann er, den alten Kinderreim zu singen, den wir immer gesungen hatten, als wir noch klein waren, wenn wir eine Schnecke dazu bringen wollten, ihre Fühlhörner auszufahren. Wir fassten uns bei den Händen und tanzten um Karo herum.
    «Niels, Niels, Schneckenhorn,
Hier ist ein Mann, der kauft dein Korn,
und kommst du nicht raus,
so wirst du verbrannt.»
    Karo hüpfte bellend umher.
    «Komm!», rief Hans Jørgen aufmunternd und fing an zu laufen.
    Das dicke Vieh watschelte in freudiger Erwartung hinter ihm her. Wir umringten es und liefen die Markgade hinunter. Jeder, der an uns vorbeikam, sah nichts anderes als eine Gruppe rennender Jungen.
    Wir überquerten die Vestergade. Vor uns lag die Reeperbahn. Weiter draußen kamen die Felder. Hier strolchten wir herum, wenn wir uns austoben wollten und die Stadt uns zu klein wurde. An den Wegen standen uralte, gestutzte Pappeln, die das Alter hatte bersten lassen. An ihnen markierten wir unser Eigentumsrecht mit Nägeln und Brettern. Wir verwandelten sie in Hütten mit Treppen, Räumen und Decken. Sie waren unsere Burgen, von denen aus wir über die Felder herrschten. Doch wir mussten sie jedes Mal aufs Neue erobern, denn die Bauernjungen glaubten ebenfalls ein Anrecht auf sie zu haben. Sie waren Söhne der Scholle, schwerfällig und mürrisch, und erhoben ein Erstgeburtsrecht auf die ausgedehnten Felder.

     
    Doch wir waren in der Überzahl. Wir kamen nur als Gruppe hierher, stets kampfbereit, und verließen die Felder als Sieger. Sie waren die Eingeborenen, und sie verteidigten ihr Land mit der Verbissenheit von Wilden. Aber wir waren die Stärkeren und erwiesen ihnen keine Gnade.
    «Kann er so weit laufen?», fragte Niels Peter.
    Der Sabber hing Karo in Fäden aus seiner schwarzen Schnauze, während er mühsam weiterrannte, um mit uns Schritt zu halten. Das war etwas anderes als das Leben als Schoßhund daheim bei der fetten Lehrergemahlin.
    «Wenn Lorentz es kann, kann Karo es auch», sagte Josef und schlug Lorentz hart auf die gut gepolsterte Schulter. Lorentz’ Kopf war nach dem Lauf rot vor Anstrengung. Er holte mit einem keuchenden Geräusch Atem, Schultern und Brustkasten hoben und senkten sich, als hätte irgendetwas in ihm ein Loch bekommen. Sein Gesicht war in Fett gebettet, und wenn wir ihm kräftig auf die Wange schlugen, wackelte alles so komisch. Nur seine fleischige Nase blieb an ihrem Platz, während die Lippen zitterten. Sein Blick bekam einen Ausdruck, als wollte er für seine beschämende Fülle um Entschuldigung bitten.
    «Seht ihn euch an, ist er nicht widerlich!», sagte der kleine Anders und zeigte auf Karo. «Er sabbert ja, pfui!»
    «Und Beine hat er wie eine Kommode. Das soll ein Hund sein?»
    Karo antwortete mit einem munteren Bellen. Er hatte Gesellschaft und keine Ahnung, was ihn erwartete. Wie sollte es auch, das unschuldige Vieh? Doch unschuldig war Karo in unseren Augen eben nicht. Er war der Hund von Lehrer Isager. Diesem Hass, den wir gegen unseren Plagegeist hegten, konnte sich auch sein Hund nicht entziehen. Während wir neben Karo herliefen, wiesen wir uns auf die zahlreichen Ähnlichkeiten zwischen der hässlichen, flach gedrückten Schnauze und der Erscheinung des Lehrers hin.
    «Es fehlt nur die Brille», meinte Albert, und wir anderen lachten.
    Wir liefen in Richtung der hohen, lehmigen

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