Wir Ertrunkenen
Brille betrachtet hatte. Seine Wange war nach dem Schlag mit dem Tampen rot und geschwollen. Plötzlich trat er zu. Er hatte Holzschuhe an und traf Isager am Schienbein. Isager stieß ein Brüllen aus, und Hans Jørgen nutzte die Gelegenheit, um ihm den Arm umzudrehen. Mit einem Aufstöhnen ging der Lehrer in die Knie.
Jetzt hätten wir uns auf ihn stürzen können. Aber ein derartiger Gedanke lag uns fern. Isager war ein Ungeheuer, aber ein Ungeheuer, das nicht getötet werden konnte.
Er kniete am Boden und brüllte wie ein krankes Tier. Wir alle wussten von unseren Kämpfen untereinander, dass dies der Augenblick war, an dem ein Kampf endete. Wenn jemand auf den Knien lag, den Arm auf dem Rücken, forderten wir ihn auf, um sein Leben zu betteln, um Vergebung zu bitten oder sich auf irgendeine andere Weise selbst zu demütigen.
Wir konnten uns ja schlecht gegenseitig den Arm brechen, an diesem Punkt war eine Rauferei ganz einfach zu Ende. Doch mit Isager endete es immer unentschieden. Es gab nichts, was wir nicht lieber getan hätten, als ihm seinen verdammten Tampenarm zu brechen. Aber wir konnten es nicht. Unsere Unschlüssigkeit brachte uns um den Sieg. Es gab keinen Erwachsenen unter uns, der hätte sagen können: «Gebt ihm den Rest!» Dann hätten wir es getan. Doch Isager war der Erwachsene, und wir ließen ihn gehen. Nicht einmal eine bescheidene Bitte um Gnade zwangen wir ihm ab.
Hans Jørgen trat einen Schritt zurück. Isager sah ihn nicht an. Er klopfte sich den Staub von den Knien. Dann schnappte er sich den Nächststehenden. Es war Albert, der am selben Tag ein zweites Mal zwischen seine Beine musste. Hans Jørgen wagte er nicht anzufassen.
Isager hatte an diesem Tag noch eine Reihe weiterer Handgemenge zu überstehen. Nicht alle fanden sich mit seinen Grausamkeiten ab, doch die meisten von uns lagen mit zusammengebissenen Zähnen zwischen seinen Beinen und ließen den Tampen über sich ergehen.
Dann trat er schwer atmend ans Katheder. Er bekam kaum noch Luft. Er war kein junger Mann mehr, und siebzig Burschen zu verprügeln war harte Arbeit, aber er hatte es geschafft. Er stützte sich mit der linken Hand aufs Katheder. Den Tampen hielt er noch immer fest in der Hand.
«Ihr unverschämten Lümmel, ihr sollt noch eine Abreibung bekommen», keuchte er.
Aber er war zu müde, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
Die Brille saß noch immer auf der Nase. Sogar in dem Gerangel mit den großen Burschen hatte sie ihre Position auf der Nasenwurzel nicht verändert.
Es war Albert, der das Geheimnis der Brille entschlüsselte. Saß sie ganz vorn auf Isagers Nase, würde es ein ruhiger Tag werden, der kleinere und schnell heilende Spuren auf unseren Gesichtern und Händen hinterließ. Balancierte sie in der Mitte der Nase, war nicht abzusehen, wie sich der Tag entwickeln würde. Saß sie aber auf die Nasenwurzel gepresst, würde der Unterricht sich auf die weichsten, empfindlichsten und doch am wenigsten gelehrigen unserer Körperteile konzentrieren, und es war Meister Tampen, der das Pensum des Tages diktierte.
Diese Entdeckung sicherte Albert einen gewissen Ruhm, und wir alle hatten das Gefühl, dass unser neues Wissen ein großer Fortschritt in dem ewigen Krieg gegen Isager bedeutete.
Es war ein Krieg, der seine Spuren hinterließ. Wir hatten nach den Schlägen mit der Linealkante Narben an der Kopfhaut. Wir hatten geschwollene Finger, die kaum eine Schreibfeder halten konnten, weil er uns mit dem Tampen auf die Finger schlug, wenn ihm die Schrift nicht gefiel. Das nannte er Dukaten austeilen, und Dukaten teilte er auch an den Tagen großzügig aus, an denen die Brille ganz vorn auf der Nase saß. Wir hinkten und bluteten, wir waren blau und gelb, voller blutunterlaufener Striemen, und immer tat uns irgendeine exponierte Stelle weh.
Doch das war nicht das Schlimmste, was er uns antat.
Er hinterließ sein Zeichen auf eine andere und furchtbarere Weise: Er brachte uns dazu, ihm ähnlich zu werden.
Wir taten schreckliche Dinge, und wir begriffen es in dem Moment, in dem wir uns um den Beweis unserer Untat versammelten. Es war wie eine Bürde, von der wir uns nicht befreien konnten.
Er pflanzte uns einen nicht zu stillenden Blutdurst ein.
An einem Herbsttag, an dem der Wind die letzten Blätter von den Bäumen riss, standen wir verprügelt und vor Schmerzen stöhnend in der Kirkestræde und suchten nach etwas, um uns abzulenken, als er plötzlich vorbeiwatschelte: Isagers Hund, ein
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