Wir Ertrunkenen
Und so flüsterten wir stattdessen den Kinderreim von Niels Schneckenhorn, während wir uns aus den Augenwinkeln ansahen und lachten.
Die Stunde unseres Plagegeistes war gekommen.
Die Erwachsenen liefen mit Wassereimern herbei, die aber nichts ausrichteten. Der Westwind blies zu heftig. Doch der Sturm fuhr nicht nur
wie ein Teufel durch Isagers Haus, wo er Gardinen, Teppiche, Möbel und Decken in Brand gesteckt hatte, nein, nun trug er das Feuer weiter. Auf dem Rücken des Westwinds sprangen die Flammen von Isagers auf Dreymanns Haus und von Dreymanns auf das von Kromans.
Der kleine Anders flüsterte den Reim von Niels Schneckenhorn nicht mehr, sondern schrie auf. Es war sein Zuhause, das brannte, und er sah seine Mutter mit einer Suppenterrine aus englischer Fayence im Arm aus dem Haus rennen. Es war das Feinste, was sie besaßen. Bald stand eine Seite der Skolegade in Brand, und es begann wieder zu schneien, allerdings musste es sich um Schnee vom Satan handeln, denn er war schwarz.
Erst an der Ecke zur Tværgade hielt das Feuer inne. Hier war die Reise über die Straße zu weit, und die Häuser gegenüber waren mit Ziegeln gedeckt. Es regnete Glut auf die Pflastersteine, und wer sich auf die Straße wagte, bekam Löcher in die Kleider gebrannt.
Rauch und Flammen stiegen zum Himmel wie der flackernde Schweif eines Feuerdrachens, der sich die ganze Skolegade als Lagerplatz ausgesucht hatte.
Endlich war der Spritzenwagen eingetroffen. Die Pferde wieherten vor Angst. Sie waren kein Feuer gewohnt. Wegen der Hitze konnten sie nicht in die Skolegade hineinfahren, also blieb der Spritzenwagen an der Ecke zur Tværgade stehen und versuchte, das Feuer daran zu hindern, sich weiter in der Stadt auszubreiten. Die Löscharbeiten in der Skolegade wurden ganz aufgegeben. Levin Kroman hatte uns zugebrüllt, dass wir mithelfen sollten. Das taten wir auch. Aber jetzt wurde die Hitze zu stark. Wir kamen nicht mehr in die Nähe der Häuser, sondern drückten uns bloß mit unseren Eimern in den Händen an die Hausmauern der gegenüberliegenden Straßenseite, während wir mit glühenden Augen dieses gewaltige Flammenmeer betrachteten.
Wir dachten überhaupt nicht daran, dass wir selbst die Ursache dieses unfassbaren Geschehens gewesen sein sollten. Das Feuer war die Ursache. Es hatte seine eigene Kraft, sein eigenes selbstverzehrendes Ziel. Mit uns hatte das überhaupt nichts zu tun.
Endlich war sie gekommen, die Stunde unserer Erlösung. Es war all unsere Bitterkeit, all unsere Angst, all der Hass, der zu groß für eine bedrückte Kinderseele war, der diese Flammen nährte, und uns erfüllte eine
Ehrfurcht, als würde das Feuer unser Leben von allem Widerwärtigen und Überflüssigen reinigen. In den Flammen wurden die Häuser in von Ruß geschwärzte Skelette verwandelt. Am Tag darauf würde es traurig und fürchterlich sein, sie anzusehen. An diesem Abend jedoch war es ein wunderbarer Anblick. So empfanden wir es, so und nicht anders.
Doch der Westwind ist immer auch ein Vorbote des Regens. Hoch über dem Feuer rissen die dahinjagenden Wolken auf. Ein Sturzregen ergoss sich über die Flammen und machte dem Feuerdrachen und unserer freudigen Erregung ein Ende.
Am folgenden Tag gingen wir umher und schauten uns die Reste der niedergebrannten Häuser an. Die Skolegade war ein riesiger Scheiterhaufen. Die Mauern standen noch, und die Fensteröffnungen starrten uns schwarz an. Die ganze Stadt glotzte zurück. Es war Feiertag. Die Männer trugen Zylinder und standen mit Kennermiene wie Schätzer da, die Brandkatastrophen gewohnt sind, obwohl es bald vierzig Jahre her war, seit sich die letzte ereignet hatte. Die Frauen trugen schwarze Tücher über den Köpfen und jammerten laut, auch diejenigen, die bei dem Brand nichts verloren hatten. Eine Angst hatte sie erfasst wie am Abend zuvor das Feuer die Häuser, die Furcht, alles zu verlieren, Brüder, Väter, Söhne. Eigentlich war es die Angst, die das Meer der Frau eines Seemanns immer einflößt. Doch das Feuer war in diesem Fall barmherziger als das Meer. Niemand war in den Flammen umgekommen.
Wir hörten Frau Isager nach Karo rufen. Sie hatte vergessen, dass der Hund längst fort war. Die anderen Frauen sprachen mit ihr, doch sie schüttelte den Kopf und wiederholte ihr Rufen.
Obwohl weder Hunde- noch Menschenleben zu beklagen waren, hatten die Betroffenen doch all das verloren, was uns im Leben von Nutzen ist, Möbel und Kleider, Erinnerungen und die gesamte
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