Wir Ertrunkenen
Rechenaufgabe aus Cramers Rechenbuch, aber ob sie durch Addition, Subtraktion oder Multiplikation zu lösen war, konnte uns niemand erklären.
Wir hatten Isager in der Winternacht bluten sehen, und der Anblick seines schwarzen Bluts im Schnee hatte uns Hoffnung gegeben. Wir hatten gesehen, wie aus Niels Peters Pullover in der Schulstube die Flammen schlugen, aber den Gedanken an die Bedeutung der Flammen hatten wir noch nicht zu Ende gedacht.
Wir fingen an, die Möglichkeiten des Feuers zu erahnen.
Hans Jørgen wurde von Pastor Zachariassen konfirmiert und ging zur See. Nach acht Monaten kam er zusammen mit dem Eis auf dem Wasser
zurück. Er hatte seine Heuer gespart und kaufte sich einen hohen Hut, wie ihn die älteren Seeleute trugen.
Wir sagten zu ihm, dass er nun Rache an Isager nehmen könne. Er war erwachsen, und niemand konnte ihm etwas tun. Aber Hans Jørgen erzählte uns, dass sie auf den Schiffen genauso geschlagen würden, dass es keinen Unterschied gebe und er keine Lust habe, ihn zu verprügeln, jetzt, da Isager nicht länger sein Lehrer war. Er hatte ihn auf der Straße getroffen. Isager war stehen geblieben und hatte ihn nach seinem Leben auf See gefragt und sich mit ihm wie mit einem Erwachsenen unterhalten, als hätte Hans Jørgen ihn nie mit einer schmerzhaften Drehung seines Arms auf die Knie gezwungen, als hätte er selbst nie auf dem Boden gelegen und mit dem Tampen Prügel bezogen.
«Tu es für uns», quälte ihn Albert. «Schlag ihn für uns. Du bist so groß und stark. Du bist jetzt stärker als vor einem Jahr. Du schaffst ihn.»
«Ich habe ihn bereits vergessen», sagte Hans Jørgen. «Er interessiert mich nicht.»
«Du bist nur so überheblich, weil du Heuer bekommen hast.»
«Du hörst mir nicht zu.»
Hans Jørgen ging in die Knie, so dass sein Gesicht sich direkt auf der Höhe von Alberts befand.
«Sie prügeln auch auf den Schiffen. Es hört niemals auf. Es geht immer so weiter. Du kannst ebenso gut gleich anfangen, dich damit abzufinden.»
«Das ist nicht gerecht!», sagte Niels Peter wütend.
«Nein», stimmten die anderen zu, «das ist nicht gerecht!»
«Wieso soll jemand wie wir rechnen, lesen oder schreiben lernen?», fragte Hans Jørgen. «Nein, Schläge müssen wir aushalten können, wenn es weitergehen soll. Und was das angeht, bekommen wir nie wieder einen besseren Lehrer als Isager.»
Wir starrten ihn unsicher an. Hielt er uns zum Narren?
«Beklagte sich Tordenskjold, als eine Sturzsee seinen Fockmast mit sich riss? Was sagte er doch gleich stattdessen?»
«He, es geht doch prächtig!», murmelte Niels Peter und senkte den Blick.
«Na siehst du. Es geht doch prächtig! Denkt daran und hört auf, euch zu beklagen.»
«Ich finde, er ist merkwürdig geworden», sagte Albert hinterher. Wir nickten. Wir fühlten uns verlassener als je zuvor. Hans Jørgen war nicht länger einer von uns. Er war erwachsen und wusste mehr von der Welt. Doch uns gefiel nicht, was er erzählte. Wir beschlossen, ihm nicht zu glauben.
Dennoch schien es, als würden wir uns von Tag zu Tag mehr damit abfinden. Es gab nicht mehr so viele Rangeleien in der Schulstube, wenn Isager mit dem Tampen herumging, und nur wenige sprangen auf die Fensterbretter und versuchten zu entwischen.
Weihnachten kam, und es kam Silvester. Im vergangenen Jahr hatte Isager seine Ruhe gehabt, weil er im Bett lag und mit dem Tod kämpfte; doch er hatte gesiegt, und nun wollten wir wieder unseren gewohnten Spaß haben. Niels Peter hatte die Idee, aber es war ja auch sein Pullover gewesen, der im Feuer verbrannt war, als er ihn dazu benutzte, den Kachelofen zu verstopfen. Wir glaubten, Isager niemals zu entkommen. Doch die Flammen konnten wir nicht vergessen. Wir hatten sie aus dem Kachelofen schlagen sehen und kannten das Feuer gut genug, um zu wissen, dass niemand es aufzuhalten vermochte, wenn es erst einmal ausgebrochen war.
Wie hatte der große Brand 1815 begonnen? Waren Männer nachts mit Fackeln herumgelaufen und hatten Feuer an die Reetdächer gelegt? Nein, eine umgefallene Kerze in einem Haus in der Prinsegade. Mehr war nicht nötig gewesen. Das Feuer sprang von Haus zu Haus. Jedes dritte Haus in der Stadt lag in Schutt und Asche. Den Schein des Brandes hatte man bis nach Odense gesehen.
Alberts Großmutter Kirstine sprach noch immer mit einem Grausen in der Stimme über das Feuer.
«Oma, erzähl uns von dem großen Brand», wurde sie von Albert gedrängt, wenn sie zu Besuch kam und sich an den
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