Wir Ertrunkenen
antworten.
Nun stehen sie am Kai und sagen Lebewohl. Noch immer herrscht Schweigen zwischen uns. Sie bohren ihre Augen in unsere.
«Komm zurück», sagt ihr Blick.
«Geh nicht von uns», sagen ihre Augen.
Doch wir wollen nicht wiederkommen. Wir wollen hinaus. Wir wollen fort. In diesem Augenblick, wenn wir am Kai stehen und Abschied
nehmen, stechen sie ein Messer in unsere Herzen. Und wenn wir aufbrechen, stechen wir ein Messer in ihre Herzen. So sind wir verbunden. Mit den Wunden, die wir einander zufügen.
Wir hatten zu Hause etwas gelernt. Wir konnten ein Tauende spleißen und Knoten schlagen. Wir konnten ins Rigg entern und hatten keine Angst vor der Höhe der Masten. Wir kannten jeden Winkel auf einem Schiff. Doch wir hatten nur auf dem Deck eines Schiffs im Winterhafen gestanden. Noch wussten wir nicht, wie groß das Meer ist und wie klein uns ein Schiff vorkommen konnte.
Wir begannen als Smutje.
«Hier», sagte der Skipper und gab uns einen mit Grünspan überzogenen Kupfertopf.
Der Topf war die ganze Kombüse. Damals gab es keine Kombüsen an Deck. Wir saßen im Mannschaftslogis vor einem aus Ton gebrannten Ofen, und der Schornstein war ein Rauchfang, den man aus vier Bretten zusammengezimmert und durch ein Loch an Deck gesteckt hatte. Bei Regen spritzte Wasser herunter. Bei Sturm, wenn die Wellen übers Deck rollten, ergossen sich ganze Sturzbäche über uns und löschten das Feuer; dann konnte es sein, dass das Wasser kniehoch in der Kajüte stand. Bei dem kleinsten Wind, wenn das Schiff in der See zu stampfen begann, mussten wir den Topf mit bloßen Händen festhalten, damit er nicht auf den Kajütenboden rutschte. Wir zogen die Ärmel unserer Pullover über die Hände, um uns gegen die Hitze der heißen Griffe zu schützen, und starrten die Graupensuppe mit Augen an, die vom Rauch des Ofens brannten. Nie war jemand mit uns zufrieden. Einen brauchte es, den man treten konnte, und wenn es keinen Hund an Bord gab, waren wir es.
Um vier Uhr morgens wurden wir aus den Kojen gepurrt und hatten zu jeder Tageszeit Kaffee bereitzuhalten. Allenfalls zwischen zwei Bechern fanden wir etwas Zeit zum Dösen. Dann wurden wir mit einem Tritt geweckt: «Was, zum Teufel, sitzt du schon wieder da und schläfst, Bengel!»
Nie durften wir mal für eine Stunde an Land, um uns die Städte anzusehen, in denen wir Ladung aufnahmen oder löschten. Nach einem Jahr
auf See hatten wir Trondheim, Stavanger, Kalmar, Varberg, Königsberg, Wismar und Lübeck, Antwerpen, Grimsby und Hull angelaufen. Von Weitem sahen wir Felsküsten, Felder und Wälder, wir sahen Türme und Kirchturmspitzen, doch wir kamen ihnen niemals näher als den Traumbildern der Wolken. Das einzige Stück Land, das wir unter unseren Füßen spürten, war der Kai. Die einzigen Häuser, in die wir traten, waren Lagerhäuser. Die Welt, die uns vertraut wurde, bestand aus dem Deck, der verräucherten Unterkunft und den ständig feuchten Kojen.
Jeden Abend im Hafen mussten wir bis nach Mitternacht auf den Skipper warten, nur um ihm seine Stiefel von den Füßen zu ziehen.
«Bist du da, Junge?», sagte er mit lallender Stimme und setzte sich rotfleckig und schnaufend mit ausgestreckten Beinen auf die Koje.
Erst dann konnten wir schlafen gehen, aber nur, um nur wenige Stunden später wieder geweckt zu werden.
Jeden Winter trafen wir uns wieder, wenn die Schiffe zurück nach Marstal kamen, um auf das Frühjahr und eisfreies Fahrwasser zu warten.
«Könnt ihr euch noch daran erinnern, was Hans Jørgen gesagt hat?», fragte Niels Peter. «Das Wichtigste, was Isager uns beigebracht hätte, wäre, Prügel zu ertragen?»
«Er hätte uns beibringen sollen, wie man sich wach hält», sagte Josef.
Er war Isagers Sohn, hatte aber dennoch angemustert. Johan blieb zu Hause. Er musste sich um die Mutter kümmern, die seit dem Brand in Lumpen gehüllt über die Felder wanderte und nach Karo rief. Er hoffte, er würde Küster werden wie sein Vater.
Wir nickten uns zu. Das war so ungefähr die Summe unserer Erfahrungen aus dem ersten Jahr auf See: Prügel und ewige, durchwachte Nächte.
«Der Kaffee ist ausgegangen», sagte Albert.
Er war ein Jahr auf dem Frachtsegler Catrine gefahren.
«Ich habe ein Viertelpfund bekommen. Das hatte für drei Mann sieben Tage zu reichen, und dann verlangte der Skipper noch, dass der Kaffee stark sein solle. Sie haben mich nur beschimpft. Der Kaffee wäre zu schwach, behaupteten sie, aber dann habe ich sie
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