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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Kachelofen setzte. Und dann erzählte die Großmutter von der Dienstmagd Barbara Petersdatter, die eines Abends im Oktober in Karlsens Tenne in der Prinsegade mit einem angezündeten Talglicht Flachs gehechelt hatte. Und mittendrin musste sie plötzlich einen Liebesbrief lesen, dieses gedankenlose Flittchen. Sie hatte einen Fehltritt begangen und wollte wissen, was ihr Liebster, der an allem schuld war, dachte. Aber dieses verstörte junge
Ding stieß das Licht um. Das Werg fing Feuer, und der gesamten Stadt erging es schlimmer als ihr.
    «Wuussch», sagte die Großmutter und streckte beide Hände in die Luft. Das war das hungrige Feuer, das durch das Strohdach aufstieg. Sie hatte das Feuer gesehen und würde es nie vergessen.
    «Betet zu unserem Herrgott, dass ihr niemals das Gleiche erlebt wie wir», sagte sie, nachdem sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte.
    Aber Albert tat das Gegenteil. Er betete zu unserem Herrgott, dass er das Feuer ausbrechen lassen möge.
     
    Es wurde Silvesterabend, und wir aßen unseren gekochten Dorsch mit Senfsauce. Dann rannten wir hinaus in die Dunkelheit des Winterabends. Wir taten, was wir immer taten. Wir hämmerten an Türen und lärmten. Wir rissen Lattenzäune ein und warfen mit Tonkrügen. Wir fingen einen Hund, schlangen ihm ein Tauende um den Leib und hängten ihn mit dem Kopf nach unten an einen Baum, bis das Geheul seinen Besitzer herbeirief, den wir dann mit Tonkrügen bewarfen.
    Unter unsere Pullover hatten wir Stroh gestopft. Wir warteten nur darauf, dass es spät genug war, bevor wir Isagers Haus umringten. Es brannte noch Licht. Wir warfen ein paar Tonkrüge durchs Fenster seiner Wohnstube, hörten seine fette Frau aufheulen, und sofort war in der Diele Lärm zu vernehmen.
    Isager stand mit einem Stock in der Hand in der Tür.
    «Lümmel!», brüllte er.
    «Ja, schrei du nur», erwiderten wir und schmissen noch ein paar Tonkrüge in seine Richtung. Einer traf seine Schulter und spritzte seinen ekligen, stinkenden Inhalt über seinen Leibrock. Sein Brüllen wurde durch ein gurgelndes Husten erstickt, das klang, als müsste er sich übergeben. Noch ein Krug flog an ihm vorbei in die Diele. Josef und Johan standen am Fenster und lachten über ihren Vater. Die durften Silvester niemals irgendwelche Streiche spielen. Jetzt bekamen sie ihre Rache. Doch sie wussten nicht, was sie erwartete, denn wir hatten ihnen nichts erzählt.
    Wir rannten die Skolegade entlang. Isager setzte uns nach, den Stock zum Schlag erhoben. Auf der Rückseite des Hauses war das Klirren zerborstener Fensterscheiben zu hören. Da wussten wir, dass Niels Peter
und Albert das Fenster zur Schlafkammer eingeschlagen hatten und brennendes Stroh hineinwarfen.
    Nun ging es los.
    «Und kommst du nicht raus, so wirst du verbrannt.»
    Wir machten auf der Tværgade kehrt und liefen die Prinsegade zurück. Wir hörten Isager rufen. Wir hatten ihn zum Narren gehalten, waren im Kreis gelaufen und standen nun wieder an der Schule. Wir spürten, dass der Wind aufgefrischt hatte. Am Tag zuvor hatte es Tauwetter gegeben, und der größte Teil des Schnees in den Straßen war bereits geschmolzen. Der milde Westwind befreite uns vom Winter. Der Wind heulte über die Stadt.
    Dann loderten die Flammen auf.
    Wir hatten auf beiden Seiten des Hauses die Fenster eingeschlagen, und Isager hatte die Tür offen stehen lassen, als er uns nachlief. Nun fuhr der Westwind durch das Haus und blies in das brennende Stroh in der Schlafkammer. Wir hatten noch nie eine Feuersbrunst gesehen und erschauderten bei diesem Anblick. So sah es also aus, das hungrige Feuer. Es war wilder, als wir es uns hatten vorstellen können. Es schlug direkt durch das Dach. Und hinter den zerbrochenen Fensterscheiben loderte es wie tausend Talglichter. Dann brüllte es durch sämtliche Öffnungen.
    Isager schrie. Wir sahen seine dicke Gattin aus der Tür taumeln. Auf der Treppe stolperte sie und fiel am Fuß der Treppe auf ihr Hinterteil. Dort blieb sie sitzen, wobei sie laut und jämmerlich wie ein Kind weinte.
    Isager rannte zu ihr und prügelte mit dem Stock auf sie ein, als ob sie Schuld an dem Unglück hätte, das sie nun heimsuchte.
    Josef und Johan verfolgten das Ganze, als ob es sie nichts anginge. Jør-gen Albertsen kam aus dem gegenüberliegenden Haus gerannt.
    Wir standen auf der anderen Seite der Kirkestræde. Unsere Gruppe wurde ständig größer. Gern hätten wir laute Hurrarufe ausgestoßen, wussten aber, dass es nicht klug gewesen wäre.

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