Wir Ertrunkenen
Kücheneinrichtung. Bei Familie Albertsen fanden sie einen gusseisernen Topf, der noch brauchbar war, und bei Svane eine Bratpfanne. Der Griff war verbrannt, aber Schreiner Laves Petersen sagte, man könne einen neuen anfertigen.
Das Feuer war ausgebrochen, während wir Isagers Haus mit Tonkrügen bewarfen. Das taten wir jedes Jahr, und jedes Jahr wurden wir dafür bestraft, auch diejenigen von uns, die gar nicht dabei waren. Da wir
uns nie gegenseitig verrieten, wurden wir alle als gleichermaßen schuldig betrachtet. Doch in diesem Jahr erfolgte keine Strafe. Im Schein des großen Brandes fielen unsere Tonkrüge nicht ins Gewicht. Sie wurden vergessen und wir mit ihnen.
Isager hatte sich auf der Straße befunden, als der Brand in seinem Haus ausbrach. Er brachte uns mit den Ereignissen nicht in Verbindung. Er nahm uns nicht für voll. Daher glaubte er auch nicht, dass wir zu einer derartigen Untat fähig waren. Er wusste nicht, welche Bosheit er in uns gesät hatte. Seine Dummheit schützte uns.
In den folgenden Tagen wurde uns klar, dass seine fette Frau Schaden an ihrem Verstand genommen hatte. Sie rief auf der Straße auch weiterhin nach Karo. Sie glaubte, er sei aus Angst vor den Flammen davongelaufen, und nun stellte sie jeden Tag einen Futternapf heraus, um ihn aus seinem Versteck zu locken.
«Sie hat sich gebessert», sagte Josef, «sie vergisst, uns zu schlagen.»
Die Schule hatten die Flammen nicht erfasst, und Isagers Lehrerwohnung wurde wieder aufgebaut. Es dauerte auch nicht lange, bis in der Skolegade neue Häuser standen. In der Schule blieb alles so, wie es immer gewesen war. Isager hatte im Bett gelegen und mit dem Tod gekämpft. Man hatte ihm sein Haus niedergebrannt. Dahinter standen wir, seine Schüler. Aber er kam auch diesmal zurück. Wir hatten verloren. Es half nichts.
Wieder rechneten wir mit den Fingern. Früher oder später waren wir alt genug, um die Schule zu verlassen. Das war unsere einzige Hoffnung.
Lorentz wurde konfirmiert und kam beim Bäcker in der Tværgade in die Lehre. Er passte gut dorthin, fanden wir, mit seinem fetten, unmännlichen Körper, der mit zunehmendem Alter immer weiblicher wurde. Er hatte sogar Brüste. Josef und Johan hatten ihn einmal mit auf die Halbinsel genommen und ihm befohlen, sich auszuziehen, damit sie überprüfen konnten, wie so ein Weichling aussah. Josef hatte Lorentz festgehalten, der sein wabbelndes Fleisch loszureißen versuchte, während der empfindsame Johan, der bei jeder Gelegenheit dicke Wachstränen
vergoss, mit Lorentz Dinge angestellt hatte, nach denen sie uns hinterher beide weise anschauten, als wären sie nun im Besitz eines Geheimnisses, an dem sie uns beteiligen würden, wenn wir ordentlich bettelten. Wir wollten jedoch nichts davon hören. Wir wollten es nicht wissen.
Lorentz ging nachts zum Bäcker in die Tværsgade und knetete Teig. Allerdings hielt er es nur ein paar Monate aus. Er bekam keine Luft in der Nähe des heißen Backofens und des feinen Mehls. Das Mehl würde ihm auf die Lungen schlagen, sagte er. Aber das war Blödsinn, denn fett, wie er war, bekam er ja sowieso keine Luft, und Schuld daran hatten er selbst und seine Mutter. Sie war Witwe und das Einzelkind Lorentz wurde von morgens bis abends gemästet, als wäre er eine Gans, die Weihnachten geschlachtet werden sollte.
Der Bäcker wollte ihn nicht. Lorentz keuchte mit hochgezogenen Schultern und war zu nichts zu gebrauchen. Dann ging er zur See. Er kam gleichzeitig mit dem Winter zurück und präsentierte ein blaues Auge. «Hans Jørgen hatte recht», sagte er. «Sie schlagen an Bord der Schiffe.» Wieder schaute er uns mit diesem Blick an, der fragte: Bin ich jetzt einer von euch?
Wir sahen weg, wie wir es immer taten. Hinterher dachten wir, wenn er die Besatzung der Anne Marie Elisabeth auch mit diesem Blick angesehen hatte, würde er es nie schaffen.
Niemand respektiert den Schwachen, wenn er bettelt.
Es gab keinen Hans Jørgen, der sagte: «Was habe ich euch gesagt?», als Lorentz erzählte, dass sie auf den Schiffen prügelten. Hans Jørgen war mit der Johanne Karoline, genannt «die Unvergleichliche», untergegangen, als sie an einem Herbsttag im Bottnischen Meerbusen spurlos verschwand.
Das Schicksal, das uns erwartete, hieß Prügel und Tod durch Ertrinken, und doch sehnten wir uns nach dem Meer. Was bedeutete die Kindheit für uns? Wir waren an das Land gebunden und lebten im Schatten von Isagers Tampen. Wie sah das Leben auf See aus?
Weitere Kostenlose Bücher