Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
es fiel ihnen schwer, still zu stehen. Sie leckten sich den Mund und begannen, an den Fingernägeln zu puhlen. Warten. Endlich ging der Alarm los, und Snille setzte die Kneifzange am Drahtseil an. Da kippte Stina mit einem Mal um, und ihre Handtasche flog quer über den Boden.
»Du liebe Zeit, sie sollte doch erst später abschmieren«, sagte Märtha bestürzt. »Jetzt verdeckt sie dich nicht mehr.«
»Heb mal ihre Beine hoch, das hilft«, antwortete Snille, während er gerade das erste Seil durchtrennte.
»Aber ich muss doch vor der anderen Kamera stehen«, entgegnete Märtha. Sicherheitshalber zog sie Stina aber ein bisschen an den Füßen. Ein paarmal hörte sie noch das Knipsen von der Zange, dann kippte Renoirs Konversation und drohte zu Boden zu fallen. Im letzen Moment gelang es ihnen, das Bild zu halten, und sie schoben es unter Märthas Mantel. Der Alarm dröhnte ohrenbetäubend laut aus dem Nebensaal, und Märtha war froh, dass es hier bei den Impressionisten etwas ruhiger war. In diesem Raum gab es einen stillen Alarm, der direkt an die Polizei weitergeleitet wurde, das hatte Märtha bei ihrer Inspektion herausgefunden. So hatten sie ein paar Minuten mehr Zeit. In Windeseile befestigte Snille das andere Schild an dem leeren Platz, ein Schild, das sie auch auf dem PC des Hotels geschrieben hatten. ZUR INVENTARISIERUNG stand darauf.
Damit war der Renoir erledigt. Jetzt mussten sie sich nur noch um Monets hübsches Bild von der Scheldemündung kümmern. Sie platzierten sich etwas weiter rechts, und Märtha beobachtete, wie Snille mit den zwei Drahtbefestigungen kämpfte, ehe es ihm gelang, auch sie durchzukneifen. Rasch griff er zum dritten Schild und hängte es an die Stelle, wo vorher das Bild gewesen war. Jetzt wurde er nervös und wollte nur noch weg. Märtha ging es genauso, doch sie wusste, dass sie cool bleiben mussten. Sie hatte nämlich bemerkt, dass die Türen aufgingen und die Leute vom Sicherheitsdienst auf dem Weg waren. Sie schaffte es gerade noch, das Bild unter ihren Wintermantel zu schieben, bevor sie einer der Wachen entdeckte. Schnell beugte sie sich über Stina. Jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt gewesen, an dem die Gute hätte kollabieren sollen, und zwar nicht in Wirklichkeit, sondern nur zum Schein.
»Komm zu dir«, schrie Märtha und hielt die Beine ihrer Freundin in die Luft. Der Wächter eilte zu ihr.
»Helfen Sie uns! Da kam so ein Kerl, der ihr die Handtasche klauen wollte. Er ist dorthin gerannt«, keuchte Märtha und zeigte auf den Saal mit den Holländern. Der Wachmann machte ein verdutztes Gesicht, doch als Märtha versuchte, die ohnmächtige Freundin hochzuheben, kam er ihr zu Hilfe. Gemeinsam stellten sie Stina wieder auf die Füße und lehnten sie gegen den Rollator. Er hob auch ihre Handtasche auf und hielt sie ihr hin. Da kam sie wieder zu Bewusstsein.
»Ist schon alles erledigt?«, fragte sie.
»Greifen Sie ihn, greifen Sie ihn, da läuft er«, schrie Märtha mit schriller Stimme und versuchte, Stina zu übertönen. »Er hat einen Bart, lange braune Haare und stinkt.« Märtha zeigte wieder in dieselbe Richtung. Der Rollator geriet ins Wanken, und sie wartete nur darauf, dass er im nächsten Moment zusammenbrechen würde. Snille hatte berechnet, welches Gewicht der Rollator aushielt, aber jetzt waren noch 60 Kilo Mensch dazugekommen. Sie schaute zu Snille hinüber. Er sah sie an.
»Ich kümmere mich um sie«, sagte Snille zu dem Wachmann. »Das ist meine Frau. Ich hätte sie nicht aus den Augen lassen dürfen. Sie steht bestimmt unter Schock.«
Der Wächter nickte irritiert und machte sich auf, zu den anderen zurückzulaufen. Als er fort war, warf Märtha einen letzten Blick auf den Platz, wo der Monet gehangen hatte. Sie schaute, schloss noch einmal die Augen und öffnete sie wieder. Statt ZUR INVENTARISIERUNG hing da ein handgeschriebenes Schild, und Märtha musste ihre Brille zurechtrücken. BIN GLEICH ZURÜCK stand da zu lesen.
»Ach herrje, das ist das Schild, das Stina unten im Shop aufhängen sollte«, rief Märtha aus, und sie wollte schon hinspringen und es abnehmen, da erschienen die ersten Besucher im Saal.
»Wir haben keine Wahl, wir müssen zum Aufzug«, zischte Snille.
»Aber das Schild …«
»Kein Mensch weiß, wer das aufgehängt hat. Komm!«
Märtha schluckte, holte einmal tief Luft und versuchte, ganz unbeteiligt auszusehen. Langsam und majestätisch schoben Snille und sie ihre Rollatoren zum Fahrstuhl, dicht gefolgt von Stina.
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