Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
stolz darauf, dass sie an so viele Kleinigkeiten gedacht hatten. Dazu gehörte auch die Idee, Kratze unten am Fahrstuhl Schmiere stehen zu lassen. Er war darüber weniger glücklich. Erst als Märtha ihm klarmachte, dass der Ausgang des Diebstahls nur von ihm abhing, hatte er sich erweichen lassen und zugestimmt.
Als Stina und Anna-Greta oben waren, bewegten sie sich in Richtung Kunstsammlung. Am nächsten Tag sollte die Vernissage der sensationellen Ausstellung »Last und Lust« im Saal für die Wanderausstellungen stattfinden, und Märtha war davon ausgegangen, dass sich der überwiegende Teil des Sicherheitspersonals dort aufhalten würde. Es war naheliegend, dass sie die Gelegenheit nutzen und in Ruhe schon ein Auge auf die Bilder werfen würden, bevor die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich war. Oder war der Titel eigentlich »Lust und Last«? Sie konnte sich nicht mehr richtig erinnern. Unanständig war sie alle Mal.
Nun gingen sie auf die großen Säle zu. Erwartungsgemäß befand sich da noch kein Mensch, doch es würde nicht lange dauern, bis die ersten Besucher im zweiten Stock auftauchten. Deshalb war es wichtig, schnell zu sein. Auf ihren krummen Stock gestützt, bog Anna-Greta nach links in den Raum mit den holländischen Meistern ab, während sich die anderen zu den französischen Malern des 19. Jahrhunderts begaben. Sie versuchten, sich ruhig und leise vorwärtszubewegen, und Snille hatte sicherheitshalber die Rollatoren noch einmal mit seinem eigens komponierten Rapsöl geschmiert. Als sie eine Weile umhergelaufen waren, hielt Stina inne.
»Ich habe meine Arznei vergessen«, sagte sie.
»Ja, brauchst du die denn jetzt?« Märtha sah sie mit großen Augen an.
»Das sind die Kreislauftropfen«, antwortete Stina und schämte sich für ihre Vergesslichkeit.
»Dann musst du dir keine Sorgen machen. Wir sind hier ganz schnell fertig und im Handumdrehen wieder im Hotel«, tröstete sie Snille. »Außerdem sollst du doch auch ohnmächtig werden.«
Märtha lief schräg hinter Snille und schielte von Zeit zu Zeit auf seinen Rollator. Ihr fiel wieder ein, dass sie sich über die Verstärkung des Rahmens schon einmal gewundert und ihn gefragt hatte, warum die Stahlrohre an der Seite so breit waren. »Da ist doch mein Werkzeug verstaut«, war seine Antwort gewesen, und er hatte bis über beide Ohren gestrahlt. Die Kneifzange passte perfekt an die Strebe.
Nach einer Weile kamen sie zu den Impressionisten und den französischen Malern des 19. Jahrhunderts. Für einen kurzen Moment vergaß Märtha ganz, warum sie eigentlich hier war, und ließ sich von den Bildern in ihren Bann ziehen. Besonders Cézanne, Monet und Degas hatten es ihr angetan, und zu gern hätte sie Degas’ hübsche Tänzerin aus Bronze gemopst und Snille die Skulptur geschenkt. Aber die war natürlich viel zu schwer. Sie gingen weiter, vorbei am Eingang zu der erotischen Ausstellung »Lust und Last« (oder hieß sie doch »Lust und Schönheit«? Ach, jetzt ging bei ihr wieder alles durcheinander …). Aus dem Saal hörten sie Rufe und lautes Lachen, und Märtha wunderte sich, was daran so amüsant war, nackte Menschen anzuschauen. Aber es kam ihnen nicht ungelegen, wenn sie sich so auf elegante Weise die Wachen vom Hals hielten.
Märtha und Snille sahen sich kurz an und gingen entschlossen zu zwei kleinen Bildern, die von Monet und Renoir signiert waren. Sie taten so, als betrachteten sie die französischen Impressionisten ganz genau, doch suchten sie eigentlich diskret nach den Drahtseilen. Hier waren sie zwar nicht mit Stahlhüllen ummantelt, aber trotzdem ziemlich stark. Märtha legte ihren Wintermantel über den Korb des Rollators und stellte sich rechts neben Snille, während Stina unauffällig an seine linke Seite huschte. Rasch schraubte er den oberen Teil seines Rollators auf und nahm seine Kneifzange.
»Stina, bitte stell dich so hin, dass man mich nicht sehen kann«, flüsterte er.
»Moment, erst ist die Kameralinse dran«, sagte sie und lief schnell zur Überwachungskamera. Doch da bemerkte sie, dass der Luftbefeuchter verschwunden war und es nichts gab, auf das sie klettern konnte. Zum Glück fand sie das Kabel zum Gerät. Schnell zog sie es heraus und ging zurück. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen neben Snille und machte sich so breit sie konnte.
»Jetzt müssen wir nur noch darauf warten, dass Anna-Greta bei den Holländern den Alarm auslöst«, flüsterte Märtha. Stina und Snille waren bereit, doch
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