Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Märtha versorgte sie mit einem Bonbon, und als sie vor dem Aufzug standen, bekam Stina wieder Farbe im Gesicht. Märtha gab ihr einen leichten Klaps, öffnete die Fahrstuhltür und schob sie und den Rollator mit den Bildern hinein. Dann drückte sie auf den Knopf für das Erdgeschoss. Jetzt mussten sie nur noch auf Anna-Greta warten.
Im Parterre hörte Kratze, dass der Aufzug kam, nahm das Schild AUSSER BETRIEB wieder ab und öffnete die Aufzugtür.
»Warte auf mich«, sagte er, als Stina hinausgegangen war, und ging selbst in den Fahrstuhl hinein. Dort legte er nicht die Bilder von Märtha in seinen Rollator – das hätte viel zu lange gedauert –, sondern sie tauschten einfach ihre Rollatoren. Dann schwang er seinen Mantel über die zwei geklauten Bilder in ihrem Wagen und legte ihren Wintermantel über den Rollator, der wieder mit dem Fahrstuhl nach oben fahren sollte. Vorsichtig öffnete er die Fahrstuhltür. Als Stina ihm ein Zeichen gab, dass die Luft rein war, fuhr er schnell mit dem Rollator hinaus.
»So«, murmelte er und hängte das Schild AUSSER BETRIEB wieder zurück. Dann lächelte er Stina aufmunternd an, holte seinen Kamm heraus und zog fein säuberlich einen Scheitel.
»Dann wollen wir mal«, sagte er und spazierte ruhig und gemütlich mit Stina hinaus, die sich auf Märthas etwas wackligen Rollator stützte – ächzend unter der Last wertvoller Kunst.
Dieser Höllenlärm! Der Alarm war nicht auszuhalten, und Anna-Greta wäre am liebsten auf der Stelle aus dem Raum gelaufen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass ein normaler Museumsalarm so ohrenbetäubend laut sein konnte. Und das, obwohl sie sich doch nur ein kleines bisschen nach vorn gebeugt und auf Rembrandts »Küchenmagd« getippt hatte. Mit einem Mal war die Hölle los gewesen. Als die Sirene durch den Ausstellungsraum dröhnte, erschreckte sie sich so sehr, dass sie beinahe vergessen hätte, sich wie besprochen auf den Boden zu legen. Sie ging polternd zu Fall und brachte noch schnell ein »Au, au« hervor, und es wurde erst recht nicht besser, als eine Horde Wachpersonal zu ihr stürmte, um den Dieb zu greifen. Sie wollten sich gerade auf sie stürzen, da bemerkten sie, wer da lag.
»Halt, das ist ja eine alte Dame!« Der Wächter, der als Erster bei ihr war, stoppte die anderen.
»Entschuldigen Sie bitte, ich weiß gar nicht, was passiert ist. Ich habe wohl mit dem Stock gezuckt, als ich hingefallen bin«, schrie Anna-Greta, um den Alarm zu übertönen, gleichzeitig versuchte sie, wieder auf die Beine zu kommen. Einer der Männer half ihr und reichte ihr den Stock.
»Aber der ist ja ganz krumm«, sagte er.
»Wahrscheinlich bin ich deshalb gestürzt«, brüllte Anna-Greta als Antwort. »Es tut mir wirklich außerordentlich leid.«
Die Wachen machten ein dummes Gesicht und hielten Ausschau nach dem fremden Mann.
»Die Sirene!«, sagte Anna-Greta und hielt sich die Ohren zu. Einer der Wachmänner sprang fort, um sie abzustellen, der andere blieb. Sie wischte sich den Staub von den Kleidern.
»Haben Sie einen Mann mit Bart und langen braunen Haaren hier gesehen?«, fragte sie einer der Wachmänner.
»Jawohl. Vor einer Weile war hier ein netter, junger Mann mit Bart. Leider weiß ich nicht, wo er geblieben ist. Dann bin ich plötzlich hingefallen.«
Das Lächeln des Wachmannes gefror.
»Jung und nett?«
»O ja, ich wünschte, er wäre mein Sohn.«
»Ach, kommt, wir gehen zurück«, murmelten die anderen neben ihm.
»War das ein Dieb?«, fragte Anna-Greta.
»Soweit wir feststellen können, ist nichts gestohlen worden«, antwortete der Mann.
»Dann ist es ja gut«, lächelte Anna-Greta und stützte sich auf ihren Stock. Da rutschte sie wieder weg und wäre beinahe noch einmal gefallen, wenn nicht einer der Wachmänner sie aufgefangen hätte. »Ich muss mir wohl doch einen neuen Stock zulegen, oder was meinen Sie? Der hier ist ja lebensgefährlich.«
»Wie wahr, gute Dame, Sie sollten jetzt wirklich sehr vorsichtig sein«, sagte der Wachmann und hakte sie unter. »Ist es jetzt gut?«
Anna-Greta nickte.
»Na schön, wir müssen uns jetzt um die Alarmanlage kümmern, aber wenn Ihnen der bärtige Mann noch einmal über den Weg läuft, wären Sie bitte so nett, uns Bescheid zu geben? Sie finden uns dort drüben«, sagte er und zeigte auf den Saal mit der Wanderausstellung.
»Ach so, Sie sind da, wo es so vergnüglich ist«, entfuhr es Anna-Greta, dann bedankte sie sich für die Hilfe und humpelte hinüber zum
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