Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
fuhren sie die Rampe hinauf. Sie nahmen immer den offenen Hänger, damit keiner auf falsche Gedanken kommen konnte, und dann grüßten sie die Zollbeamten im Vorbeifahren. Das klappte gut. Bislang hatte sie keiner herausgewunken. Aber jetzt hatten sie es eilig. Sie hatten nicht mehr viel Zeit, bis die neuen Passagiere an Bord kommen würden.
33
Als die fünf ins Grand Hotel zurückkamen, wurden sie vom Personal freundlich gefragt, wie lange ihr Aufenthalt denn noch dauern solle. Die junge Frau an der Rezeption blätterte in den Rechnungen über Champagner und Festtagspakete, First-Class-Menüs, Schokolade und unzählige Einkäufe im hoteleigenen Shop.
»Noch diese Woche«, antwortete Märtha brav. »Oder erwarten Sie jemanden? Sollen wir vielleicht für den Präsidenten der Vereinigten Staaten Platz machen?«
Da brach Anna-Greta in solch heftiges Wiehern aus, dass die Dame sofort ihr breitestes Lächeln aufsetzte und ihnen noch einen schönen Tag wünschte. Als die fünf oben in der Suite waren, öffneten sie sofort den Einkaufstrolley. Beim Anblick der vielen Scheine konnten sie nur noch nach Luft schnappen. Das Staunen nahm gar kein Ende. Dann begannen sie, fröhlich in den Fünfhundertkronenscheinen zu wühlen, und das gefiel ihnen dermaßen gut, dass sie sich ausgiebig Zeit dafür nahmen. Als sie die Lust verloren, machten sie den Trolley wieder zu, stellten ihn in den Kleiderschrank und holten den Champagner heraus. Märtha beobachtete die anderen und sah die Freude in ihren Gesichtern. Ihr Abenteuer hatte sie einander nähergebracht, und sie genossen gemeinsam den Spaß. Im Altersheim war manchmal ein Sänger gekommen, der für sie Musik gemacht hatte, man trank Kaffee, und von Zeit zu Zeit gab es eine Andacht. Aber das waren ja alles passive Beschäftigungen, das Geheimnis lag darin, selbst etwas auf die Beine zu stellen, auch wenn man dafür nicht unbedingt gleich zum Dieb werden musste. Sie selbst fühlte sich mindestens zehn Jahre jünger, seit sie fort waren. Obwohl sie fast jeden Tag hart gearbeitet hatten. Zwei Überfälle in einer Woche war sicher mehr, als manche professionelle Gang schaffte. Und dann, nach nur wenigen Tagen Pause, kam diese spannende Reise nach Helsinki. Sogar Anna-Greta war aufgeblüht.
Märtha musste daran denken, wie es früher gewesen war, als die Alten zwar separat wohnten, aber zum Beispiel noch bei der Gartenarbeit halfen. Da hatten sie das Gefühl gehabt, gebraucht zu werden. Aber heute? Was ist das für ein Leben, wenn einen keiner braucht? Nein, heutzutage war alles so verdreht. Mit ihren Diebstählen hatten sie immerhin zeigen können, wie viel Kraft noch in den alten Menschen steckte. Seniorenpower, dachte sie und fand, dass sie mit gutem Beispiel vorangegangen waren. Zufrieden begab sie sich in die Küche, holte die Champagnergläser und stellte sie auf den Esstisch. Summend schenkte sie ein.
»Etwas zum Knabbern wäre auch nicht schlecht«, schlug Stina vor, also drehte Märtha noch einmal um. Als sie wieder aus der Küche kam, ging sie am Salon vorbei, doch als sie auf Höhe des Flügels war, kam ihr irgendetwas verändert vor. Sie blieb stehen, starrte die Wand an, schüttelte den Kopf und starrte weiter.
Schwester Barbro zündete sich die nächste Zigarette an und machte einen tiefen Lungenzug. Diese gottverlassenen, störrischen Rentner! Die Polizei hatte sie zwar auf dem Weg nach Helsinki, nämlich auf der Mariella der Vikingline, ausfindig machen können, aber als die Fähre wieder im Hafen Stadsgården einlief, waren sie nicht an Bord gewesen. Sie stellte sich vor, wie die fünf irgendwo durch Finnland irrten oder gar noch weiter ostwärts. Der nette Kommissar Lönnberg vom Polizeirevier in Norrmalm hatte versucht, sie zu beruhigen, und gesagt, dass sie früher oder später schon auftauchen würden, doch nun war schon mehr als eine Woche verstrichen.
»Vergessen Sie nicht, dass es sich um fünf erwachsene Menschen handelt, die auf sich aufpassen können. Alles wird gut, junge Frau. Sobald sie auftauchen, melde ich mich bei Ihnen.«
Aber sie konnte doch nicht still sitzen bleiben und auf den Skandal warten. Sie musste etwas unternehmen. Kratzes Sohn hatte bereits Nachforschungen angestellt, und im Heim gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Aber als sie sich unter den Bewohnern erkundigte, bekam sie natürlich keine Hilfe.
»Keiner büxt grundlos aus«, sagte eine alte Frau und klapperte mit ihrem Gebiss.
»Der letzte Tropfen auf dem heißen Stein
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