Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
sich nur eine Nachricht von Märtha verbergen, sie wollte ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er grinste vor Freunde und begrüßte den Seelsorger höflich. Der Strafvollzugsbeamte zog sich zurück, und Snille und der Priester nahmen auf dem Besuchersofa Platz. Der Schwarzrock zog etwas aus der Tasche.
»Ich habe ein Gedicht für Sie. Eine Frau, bei der ich Besuche mache, wollte, dass Sie es bekommen, dass Sie das Licht finden.«
»Das Licht?«
»Ja, die Insassin heißt Märtha Anderson, und es schien ihr sehr am Herzen zu liegen. Sie dichtet jeden Tag, und dies ist sicher eines ihrer besten Werke. Sie wollte, dass Sie das bekommen.« Der Pfarrer hielt ihm einen weißen Zettel hin. Snille erkannte Märthas Handschrift, faltete das Papier auf und begann zu lesen.
Er, der Allmächtige
Streckt seine Hand nach dir aus
Schenkt dir das Leben
Wie Wasser in einem Fallrohr
Reichtum für die Freiheit.
Zusammen fahren wir
Weit weg
Vergiss mich nie.
Verwirrt fingerte er an dem Papier herum.
»Ich verstehe von so etwas eigentlich nicht viel«, sagte er. »Müssen sich Gedichte nicht reimen?« Er gab ihm den Zettel zurück. Der Pfarrer las leise für sich und strich mit der Rückseite seiner Hand mehrmals über das Papier.
»Ich würde sagen, diese Frau mag Sie«, sagte er nach einer Weile. »Hier: zusammen fahren wir weit weg und vergiss mich nie . Das ist doch hübsch.« Er gab ihm das Gedicht zurück.
»Sie mag mich, meinen Sie? Aber kann sie das nicht einfach sagen – anstatt mich hier raten zu lassen.« Snille las das Gedicht zum dritten Mal.
»Jeder Mensch hat seine eigene Ausdrucksweise. Wahrscheinlich ist das ihre, um Ihnen zu sagen, was sie fühlt.«
Snille wurde rot und faltete das Papier wieder zusammen. Er steckte es in seine Hosentasche. Seit Märtha nicht mehr bei ihm war, hatte er sich ganz verlassen gefühlt, er hatte an nichts mehr Freude gehabt. Aber jetzt, was für ein Gedicht! Er wandte sich wieder dem Pfarrer zu.
»Sie ist wirklich ein guter Mensch, das können Sie mir glauben. Wir haben gedacht, dass wir uns im Gefängnis treffen könnten, aber daraus wurde nichts. Jetzt hoffe ich, dass wir bald freigelassen werden. Kratze, mein Freund, vermisst seine Freundin auch.«
»Aber er bekommt doch sicher Besuch von ihr?«
»Nein, seine Stina kann ihn nicht besuchen kommen. Sie sitzt auch ein.«
»Wie furchtbar. Dann sind Sie also vier Herrschaften, die straffällig geworden sind?«
»Nein, fünf. Anna-Greta, die mit uns im Chor singt, war auch dabei.«
»Fünf sündige Seelen, kaum zu glauben …« Der Pfarrer griff unauffällig zu seiner Bibel. »Wollen wir vielleicht etwas zusammen lesen?«
»Ja, gern, aber erst möchte ich meiner Märtha für ihre schönen Worte danken. Können Sie ihr einen Gruß von mir überbringen?«
»Und an was dachten Sie?«
»Ich weiß nicht recht.«
»Vielleicht ein Bibelzitat?«
»Das klingt gut, zum Beispiel von Moses, wie er durch die Wüste wandert – oder vielleicht sollte ich auch versuchen, selbst ein Gedicht zu schreiben? Dann sieht sie, dass ich mir nur für sie so viel Mühe gebe.«
»Das ist ein hübscher Gedanke.« Der Pfarrer zog einen Stift aus der Tasche und riss eine Seite aus seinem Kalender. »Hier«, sagte er und hielt ihm beides hin. Snille brütete lange, während der Priester still und leise danebensaß, um ihn nicht zu stören. Langsam und mit großer Mühe schrieb er sein Gedicht nieder.
Ich strecke die Hand, Märthalein,
nach den Dingen im Versteck, du bleibst mein.
Ich begrüße das helle Licht mit dir
hoff’, deine Gedanken sind bei mir.
Wir fahren im Frühling, Hand in Hand
– du verstehst mich? – weit weg in ein fernes
Land.
Das war wirklich kryptisch, und der Pfarrer würde kaum etwas deuten können. Aber Märtha würde wissen, was er meinte. Dass er begriffen hatte, dass sie an das Geld im Fallrohr dachte. Das Geld, das ihnen zu einem besseren Leben verhelfen würde, sobald sie aus dem Gefängnis kämen. Aber zudem las er in ihrem Gedicht noch einen verschlüsselten Plan. Reichtum für die Freiheit, zusammen fahren wir . Sie war dabei, sich etwas auszudenken …
»Wie gesagt, ich bin nicht so gut im Dichten«, gab Snille zu und reichte ihm seine Zeilen. »Aber glauben Sie, dass ihr das gefallen wird?« Der Pfarrer überflog den Text und lächelte aufmunternd.
»Das sind schöne Worte. Wie rührend.«
Als der Priester gegangen war, war Snille gut gelaunt. Märtha und er hatten eine Art der Kommunikation
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