Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
hatte sie es meist so empfunden, als sei sie in einem spannenden Urlaub unterwegs, doch nun fühlte sie sich regelrecht bestraft.
Der Wachmann schloss die Tür, und ihr war zusehends unwohler zumute. Sie sah sich um und stellte fest, dass die Außenseiten der Regale unangenehm rochen. Im Zimmer war kein einziges Teil lose, es gab keinen Klodeckel und keine Kleiderbügel. Wahrscheinlich, damit sich niemand verletzen oder erhängen konnte. Märtha wurde unruhig. Sah es so in den modernsten Strafvollzugsanstalten des Landes aus, dann war es im Gefängnis wohl kaum so viel besser … Sie betrachtete die schiefen Kanten am Regal. Auf der Fähre waren die Möbel gerade und rechwinklig gewesen, doch das Schiff schwankte. Hier schien alles schief und krumm zu sein, doch der Boden war ruhig. Es war doch immer dasselbe im Leben, nie war eine Sache perfekt.
Sie tröstete sich damit, dass sie hier nur untergebracht sein würde, bis das Urteil gesprochen wurde, dann würde sie weitergelotst werden. Allerdings nicht zu Snille. Sie legte sich aufs Bett und bemitleidete sich selbst. Sie vermisste ihren Freund und wagte nicht daran zu denken, wie es Stina ging. Und Anna-Greta hatte es sicher auch nicht leicht, so wie sie auf ihren Gunnar gehofft hatte. Märtha atmete schwer. Nein, hier war es nicht besser als im Heim, und zum ersten Mal, seit sie das Altersheim verlassen hatte, dachte sie wieder daran, abzuhauen. Es gab schließlich Freigang … Sie mussten nur das Geld aus dem Fallrohr holen und sich auf die Reise machen. Sie malte sich aus, wie sie und das Chorgrüppchen im Flieger nach Florida saßen oder irgendwo anders hin, wo es warm und schön war. Dort würden sie in einem Luxushotel wohnen, ins Spielkasino gehen und sich mit einem gutem Essen den Bauch vollschlagen. Natürlich würden sie das schaffen, doch dafür musste sie gleich anfangen, einen Plan zu schmieden. Wenn ich jetzt damit beginne, dachte sie sich, dann ist alles vielleicht schon perfekt geplant, wenn ich meinen ersten Ausgang habe.
Am nächsten Morgen rief sie die Wache. Sie sagte, sie habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil sie so viel zu beichten habe. Damit ihre Seele Frieden fände, müsse sie dringend mit einem Priester sprechen. Sonst bestände das Risiko, dass so eine alte Frau wie sie die Gefängniszeit nicht überlebe. Die Wache rief den Seelsorger auf der Stelle.
40
Der berühmte Popstar in der Prinzessin-Lilian-Suite schwankte zur Bar und holte sich die nächste Flasche Whiskey. Seine mittellangen, blonden Haare waren zerzaust, und die Jeans hing tief. Er rülpste, sah aufs Etikett und tauschte die Flasche noch einmal aus. Ein 1952er Macallan. Unten in der Bar kostete der Zentiliter 1199 Kronen, also sollte er gut sein. Er zog den Korken ab und nahm ein paar Schlucke, dann ging er ins Schlafzimmer und stellte die Flasche und zwei Gläser hin. Das Mädchen schlief tief und fest, und er zögerte einen Moment lang, bevor er sich entschied, eine Zigarette anzustecken. Sein Blick fiel auf den Nachttisch mit der Whiskyflasche vom Vorabend. Ein Schlückchen war noch übrig. Gerade richtig zu seiner Marlboro.
Er ging hinaus auf den Balkon und sog die lauwarme Luft in seine Lungen. Stockholm erwachte langsam, die Sonne ging auf, und die Farbe des Himmels wurde heller. Auf dem Wasser vor dem Reichstagsgebäude legte ein Fischer gerade seine Netze aus. Und das in einer Großstadt! Ja, Stockholm gefiel ihm. Hier war man mitten in der Stadt, aber irgendwie trotzdem auf dem Land. Und es war super, hier aufzutreten. Die Schweden waren so gut erzogen und applaudierten laut und viel, während es einem in Ländern wie Italien und Frankreich passieren konnte, dass man ausgebuht wurde. In Stockholm bekam er den größten Beifall, egal, was er anstellte – die Menge tobte. Kein Wunder, dass er am letzten Abend ordentlich gefeiert hatte. Er betrachtete die Whiskyflaschen, die er und seine Band über das Balkongeländer gepfeffert hatten. Eine Handvoll leere Flaschen waren auf dem Vordach liegengeblieben, und zwei waren zum Fallrohr gerollt. Eigentlich hätte er nicht so lange feiern dürfen, denn ihm stand am Abend ja das Konzert in Oslo bevor. Aber dieses Mädel an der Cadierbar hatte ihn nicht losgelassen, sie hatten einen Drink nach dem anderen bestellt. Danach hatte sie ihn natürlich auch in seine Suite begleitet, und er musste zugeben, dass sie etwas ganz Besonderes war. Er balancierte die Whiskyflasche in der einen Hand, in der anderen hielt er das
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