Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Nationalmuseum war nichts mehr so, wie es früher gewesen war.
»Warum sollen wir hier herumsitzen? Ich hätte gern ein bisschen Unterhaltung«, meinte Sven, 84 Jahre alt.
»Und ich möchte eine Bootstour auf dem Mälarsee machen«, meckerte seine 83-jährige Freundin Selma.
»Können wir nicht mal alle zusammen shoppen gehen«, schlug Gertrud, 86, vor und zupfte Schwester Barbro am Arm. »Ein paar neue Kleider sind gut für die Stimmung.«
Ja, so war es jetzt mit den Alten, und wenn es besonders schlimm wurde, suchte Schwester Barbro händeringend nach den roten Pillen. Aber wie sehr sie sich auch bemühte, sie fand sie nicht, und als sie zur Apotheke ging, bekam sie auch keine Hilfe.
»Die Herstellung der Pillen hat sich nicht rentiert, deshalb wurde sie eingestellt«, erklärte man ihr dort. Die neuen Pillen, die sie im Angebot hatten, kosteten deutlich mehr. Barbro fragte Ingmar, was sie tun sollten.
»Mein Gott, so teure Pillen können wir uns wirklich nicht leisten«, war seine Antwort. »Du musst eben sehen, dass du die Alten müde kriegst«, lachte er und nahm sie in die Arme.
Das Leben im Heim schien langsam auszuarten. Niemand im Haus Diamant ging nun noch um acht Uhr zu Bett, wie es Vorschrift war, und sie verweigerten das Essen, das man ihnen servierte. Die Unbequemste von allen war Dolores. Mit ihren 93 Jahren lief sie mit einem Einkaufstrolley durch die Gegend, in den sie Decken und Zeigungspapier gestopft hatte und behauptete, da seien Geldscheine drin.
»Ich habe mehrere Millionen bekommen«, sagte sie jeden Tag, zeigte auf den Trolley und machte ein zufriedenes Gesicht. »Mein Sohn ist so großzügig. Mein Gott, wie gut es mir geht.«
Barbro lächelte und bestätigte das, denn das ist das Beste, was man bei alten Leuten tun kann. Lächeln und nicken. Das hatte sie mal in einem Kurs gelernt. Und Dolores summte vor sich hin, streichelte ihren Einkaufswagen und lachte.
»Meine Millionen«, sagte sie und kicherte.
»Wirklich ein netter Scherz«, fanden die anderen im Haus, und dann holten sie Dolores ihre geliebte Prinzesstorte. Nach einer Woche malte Dolores den Handgriff des Trolleys himmelblau. Denn, wie sie sagte, das Geld war ein Geschenk des Himmels.
Barbros Arbeitstage wurden immer stressiger. Eigentlich benötigte sie mehr Unterstützung im Altenheim, doch jedes Mal, wenn sie das Thema vorbrachte, sagte Ingmar nein und erklärte, dass sie die Fixkosten niedrig halten müssten.
»Verstehst du, mein Schatz«, erklärte er. »Wenn das Haus Diamant noch mehr abwirft, können wir neue Heime aufmachen. Und dann, Herzchen, werde ich reich.«
Wir werden reich, dachte sie, doch sie sprach es nicht aus. Stattdessen unterbreitete sie ihm immer wieder neue Vorschläge für Einsparungen, um ihn zu erfreuen. Für einen schämte sie sich allerdings.
»Wenn wir das Personal, das zur Zeit bei uns arbeitet, wegen Arbeitsmangel entlassen, und stattdessen ausländische Kräfte einstellen, können wir niedrigere Löhne zahlen. Die trauen sich auch nicht zu motzen, sondern sind froh, dass sie in Lohn und Brot stehen«, hatte sie sich erdreistet zu sagen, ganz im Ungewissen, wie er darauf reagieren würde.
»Aber Liebling, das ist ja eine fabelhafte Idee«, hatte er geantwortet, und seit diesem Tag hatte er sie mit anderen Augen angesehen. Er ließ sie seinen Respekt spüren, und so fühlte sie sich plötzlich nicht mehr nur als seine Frau, sondern auch als gleichwertige Kollegin.
Sie packte ihre Unterlagen zusammen, kontrollierte, dass sie nichts im Posteingang übersehen hatte, und stand auf. Dann zog sie ihren Mantel über und ging zur Tür. Gestern hatte Ingmar angesprochen, dass sie die Sache vielleicht gemeinsam schultern könnten. Sie lächelte vor sich hin. Sie stand kurz vor dem Ziel, und alles war bedeutend schneller gegangen, als sie es erwartet hatte.
54
»Meint ihr nicht auch, dass wir bald Freigang bekommen müssten?«, sagte Märtha eines Tages, als sie gerade den Abwasch vom Mittagessen machte. Es hatte aufgehört zu regnen, und sie wollte mit ihren Freundinnen einen kleinen Spaziergang machen. Es war der verregnetste Sommer seit Jahrzehnten gewesen, und ab und zu dachte Märtha mit Sorge an ihre Geldscheine im Fallrohr. Wenn Kratze die Müllsäcke so gut verschlossen hatte, wie er es behauptet hatte, dann müssten die geteerten Schnüre gehalten haben. Keiner von ihnen hatte nachsehen können, weil sie noch keinen Freigang gehabt hatten, und mittlerweile war ein halbes Jahr
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