Wir Genussarbeiter
übertüncht werden kann und schnell wieder verschwindet.
Eine Antwort auf ihre Frage wird sie auf diese Weise aber nicht erhalten: Warum fühle ich mich schuldig?
Die Haut ist ein besonderes Sinnesorgan. Anders als durch Riechen, Schmecken, Sehen und Hören kann der Mensch durch die Berührung seiner Haut höchste sexuelle Lust empfinden, ja, die Haut ist das Genussorgan schlechthin. Gleichzeitig ist die Haut, wie man sagt, der Spiegel der Seele . Sie offenbart das Innerste des Menschen, sein tief verborgenes Geheimnis, sie ist, wenn man so will, die für alle sichtbare Leinwand der Psyche. ›Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut‹ oder ›In deiner Haut möchte ich nicht stecken!‹, so lauten allseits bekannte Redewendungen. Aber was genau meinen wir damit? Warum schämen wir uns für Hautunreinheiten und Hautunebenheiten? Und weshalb wird eigentlich vor allem auf die Makellosigkeit der weiblichen Haut so viel Wert gelegt? Geschmeidig, seidig und zart, straff, strahlend, frisch, glatt und rein soll die weibliche Haut sein, während die männliche durchaus die eine oder andere Falte und Unreinheit aufweisen darf.
Wer über die Haut redet, redet gleichzeitig über Scham. Dies schon allein deshalb, weil beide Wörter, ›Haut‹ und ›Scham‹, auf denselben indogermanischen Stamm zurückgehen, nämlich ›kam‹/›kem‹, und das bedeutet: ›verdecken‹, ›verschleiern‹, ›verbergen‹. Beginnen wir, um den Zusammenhang von Haut und Scham näher zu beleuchten, am besten ganz von vorne. Nämlich mit Adam und Eva, die, bevor sie vom Baum der Erkenntnis aßen, so nackt waren, wie Gott sie schuf. Nichts trugen sie am Leibe, weder ein Fell wie das Tier noch Kleidung, denn sie »schämten sie sich nicht voreinander«, wie es im Buch Genesis heißt. Doch dann kostet Eva auf Geheiß der Schlange von der Frucht des verbotenen Baums und verführt anschließend auch Adam zu dieser Tat – und kaum können
die beiden ersten Menschen gut und böse voneinander unterscheiden, erkennen sie auch die eigene Nacktheit und die mit ihr verbundene Schuld. Sogleich flechten sich Adam und Eva Schurze, mit denen sie ihre Geschlechtsteile bedecken, und als sie die Schritte Jahwes hören, verbergen sie sich aus lauter Scham ob ihrer Nacktheit unter den Bäumen des Gartens.
Vergebens, wie wir wissen. Als Jahwe seine schuldigen Geschöpfe sieht – »Wer hat dir kundgetan, dass du nackt bist?« –, vertreibt er sie aus dem Paradies, und von da an hat die Nacktheit des Menschen für immer ihre Schad- und Schuldlosigkeit verloren. Als sterblicher Erdenbewohner, der er durch den Sündenfall wurde, verhüllt der Mensch seinen nackten Körper, der ihn in seiner Verletzlichkeit und in seiner Sexualität offenbart. Unbekleidet friert er beim kleinsten Luftzug, fühlt sich ungeschützt, zieht die Schultern hoch, mit den Händen schamhaft sein Geschlecht verbergend.
So wie Adam und Eva sich dem Auge Gottes verzweifelt zu entziehen versuchen, nachdem sie ihre Nacktheit erkannt haben, wollen auch wir am liebsten unsichtbar sein, wenn wir das Gefühl haben, uns auf unangemessene Weise entblößt zu haben. Wir möchten, wie man sagt, im Boden versinken, doch als hätte der Körper diesen Wunsch nicht nur falsch, sondern genau entgegengesetzt verstanden, sorgt er dafür, dass sich erst recht alle Blicke auf ihn richten: rot, feuerrot, signalrot verfärbt sich die Gesichtshaut des oder der Beschämten, was das Gefühl der Scham nur noch verstärkt. Bei manchen Menschen ist das Erröten sogar derart ausgeprägt, dass sie unter einer regelrechten Errötungs angst , der Schamkrankheit Erythrophobie, leiden. »Die Rotfärbung der Haut befällt in erster Linie das Gesicht, erstreckt sich aber auch oft auf den Hals und Teile des Rumpfes«, wie der Philosoph und Psychologe Josef Rattner erklärt. »Der Zustand wird noch dadurch
verschlimmert, daß man denkt, alle Blicke der Umgebung seien auf das Symptom gerichtet. Der Patient wehrt sich dagegen, vor der Umwelt als ängstlicher, unsicherer, schamhafter und verklemmter Mensch zu erscheinen. Aber gerade die Bestrebungen, seine manifeste Unsicherheit zu verbergen, bewirken genau das Gegenteil; die Erythrophobie wird damit zum zentralen Gegenstand der Aufmerksamkeit, was schließlich dazu führt, daß der Erythrophobe manchen sozialen Belastungssituationen ausweicht.«
Wer sich schämt, hat etwas zu verbergen. Etwas, von dem er oder sie befürchtet, dass es herauskommen könnte. Heraus aus der Seele.
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