Wir Genussarbeiter
X von Kollege Y halb scherzhaft behauptet, dass dieser, da er sich angeblich nicht durchzusetzen weiß, ein ›Weichei‹ sei oder gar
überhaupt ›keine Eier‹ habe, dann weisen solche Sprüche recht eindrücklich darauf hin, wie schnell ein Mann zur Frau degradiert werden kann. Zieht man zudem in Betracht, dass seit geraumer Zeit auch der Mann (allerdings noch längst nicht so extrem wie die Frau!) seine Hautmakel vertuscht, dann wird offensichtlich, auf welch tönernen Füßen die männliche Macht heute steht. Peelings, Faltencremes, Liftings, diese Angebote gibt es längst auch für Männer: Das starke Geschlecht hat seine Stärke verloren, denn das Patriarchat ist unwiderruflich zu Ende, sodass auch Männer zunehmend mit einem Mangelgefühl zu kämpfen haben. Zwar weiß sich die männliche Macht, wie ein Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, nach wie vor zu behaupten, aber sie »wird zunehmend ausgehöhlt und virtuell«, wie Ute Scheub in ihrem Buch Heldendämmerung schreibt. Und gerade in einer extremen Wettbewerbsgesellschaft wie der unseren, in der sich jeder und jede unablässig präsentieren und beweisen muss, kann sich eine Macht, die man zu besitzen glaubt, im Handumdrehen in ›Nichts‹ verwandeln. Scham und Stolz, Angst und Allmachtsphantasie liegen in Arbeitsverhältnissen, in denen die wenigsten sich ihrer Position sicher sein können, sehr nah beieinander. Und so vollführen beide Geschlechter heute einen erbitterten Kampf um Anerkennung und brennen vor Ehrgeiz. Im nächsten Kapitel wollen wir dieses Brennen, dieses Feuer und Flamme sein noch einmal genauer unter die Lupe nehmen: Was sind die Antriebsmechanismen dieses Ehrgeizes? Und warum führt das innere Feuer so häufig zum Ausbrennen?
Das entflammte Selbst
Was ehrgeizige Menschen antreibt
»Du warst immer schon sehr ehrgeizig!« Eltern meinen solche Sätze meist als Kompliment. Mit der Bezeichnung ›ehrgeizig‹ wollen sie ihren Stolz ausdrücken, wollen die Zielstrebigkeit, die Hartnäckigkeit, das Durchsetzungsvermögen des eigenen, nunmehr erwachsenen Sprösslings betonen. Der Sohn, die Tochter indes wird sich womöglich peinlich berührt fühlen: Ehrgeizig – das klingt so verbissen. So verkrampft. So erfolgsbesessen.
Tatsächlich zeigt sich am Begriff Ehrgeiz bereits deutlich, woher das Unbehagen rührt: Der ehr-geizige Mensch, so besagt das Wort, will geehrt werden, und zwar nicht nur einmal oder hin und wieder, sondern ständig. ›Geiz‹ leitet sich ab vom Althochdeutschen gīte , was Gier bedeutet, und es gehört zum Wesen der Gier, dass sie triebhaft, unstillbar und unmäßig ist. Der Ehrgeiz hat demnach, auch wenn er häufig positiv mit ›Eifer‹ und ›Ambition‹ gleichgesetzt wird (wie etwa im Duden ), immer schon eine Tendenz zur Ehr sucht , zu einem zwanghaften Geehrtwerdenwollen, dem jede spielerische Lust an der Tätigkeit geopfert wird. Vor allem ältere Nachschlagewerke definieren den Ehrgeiz genau in diesem Sinne: »Ehrgeiz ist die übertriebene Begierde nach äußerer Ehre«, so heißt es im Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe (1907). »Wie jede Begierde, wächst der Ehrgeiz, je mehr er befriedigt wird, und macht daher den Menschen unglücklich.« Und in der Tat: Wer
nach äußerer Ehre giert, treibt Sport nicht aus Vergnügen, sondern allein für die Medaille, arbeitet nicht primär aus Interesse an der Sache, sondern einzig um der mit der Sache verbundenen Ehre willen. Sich ausschließlich aufs Ziel konzentrierend, versagt sich der zwanghaft Ehrgeizige jede Abschweifung und jeden Müßiggang, wichtig ist nur zu gewinnen, die mit Erfolg gekrönte Laufbahn. Körperliche und geistige Ermüdungserscheinungen nimmt der ehrgeizige Arbeiter/Sportler kaum wahr, wie im Rausch wird die Schmerzgrenze überschritten, denn der Sieg ist schon zum Greifen nahe, die Ziellinie bereits in Sichtweite – und wenn sie erreicht ist, lockt in der Ferne sogleich die nächste Herausforderung. Denn lässt sich nicht immer noch ein Preis gewinnen?
Wenn der Ehrgeizige nur die Ehre im Auge hat, ist zwangsläufig die Gefahr gegeben, dass er alles unternimmt, um sie zu erlangen – auch das moralisch Fragwürdige. »Ein unmäßiges Streben nach Ehre, das die Genossen überragen will und das unter Umständen sogar vor unlauteren Mitteln nicht zurückschreckt, ist der Ehrgeiz«, so schrieb Gotthilf Bader in seiner theologischen Abhandlung Ehre und Ehrgeiz in der Erziehung in den vierziger Jahren. »Der Ehrgeizige strebt mehr nach
Weitere Kostenlose Bücher