Wir Genussarbeiter
VESALIUS
Eine große Ausnahme, was die künstlerische Darstellung des weiblichen Geschlechts angeht, ist Gustave Courbets berühmtes Gemälde L’origine du monde, das den Schritt einer Frau, um es modern auszudrücken, im Close-up zeigt. Die Beine sind gespreizt, die Schamlippen leicht geöffnet, der schmale Spalt ein undurchdringliches Schwarz: Die Vulva wird hier dargestellt als das unheimliche Andere, das, gerade weil es im Dunkeln liegt, die männliche Potenz bedroht und gleichzeitig umso mehr herausfordert. In der heutigen Hardcore-Pornographie findet diese (von Courbet aufs Treffendste ins Bild gesetzte) Ambivalenz des weiblichen Genitals ihre Auflösung in radikaler Misogynie: Die Frau, die schamlos ihr Geschlecht, ihr sexuelles Verlangen in die Kamera hält, ist die ›Schlampe‹, die ›Hure‹, die ›Fotze‹, deren ›geiles Loch‹ mal wieder ordentlich ›gestopft werden muss‹. Der schamlose Mann ist potent, die schamlose Frau hingegen ist ein verruchtes Nichts ohne eigenes Begehren; ihr Exhibitonisms dient ledigleich dazu, die Macht des Mannes zu spiegeln.
Bild 1 L’origine du monde (1866) VON GUSTAVE COURBET
Dass das weibliche Genital in unserer Kultur offenbar eine andere Wertigkeit besitzt, weil es nicht so hervorsticht wie das Geschlecht des Mannes, wirft nun ein erhellendes Licht auf unser Fallbeispiel: Die Frau will am folgenden Tag ihre Projektidee präsentieren, und zwar offensiv und selbstbewusst. Mit anderen Worten: Sie will ihre Potenz exponieren, will ihr Begehren offenbaren, sie will sich, um es einmal so zu formulieren, breitbeinig vor das Publikum stellen und zeigen, was sie hat. Wie aber kann ihr das gelingen? Was bleibt ihr anderes übrig, als ihr eigenes Geschlecht zu verleugnen und unbewusst die Phantasie zu hegen, selbst ein Mann zu sein? Ausgestattet mit einer phallischen Potenz, auf die sie mit Fug und Recht stolz sein kann? Das wird ein Riesending , denkt die Frau, womit sie bei genauerer Betrachtung nicht nur die Erhebung unter der Haut, sondern auch die aus ihrer Sicht grandiose Projektidee meint, eine Idee, die so ›hervorragend‹ ist wie das männliche Geschlecht. Ihr großer Pickel ist also gewissermaßen das für alle sichtbare Zeichen ihrer männlichen Potenz – und doch zugleich ein Makel. Denn den Penis, den sie zu haben glaubt, besitzt sie in Wahrheit nicht, er gehört eigentlich nicht ihr, sie hat ihn, wenn man so will, entwendet – und deshalb plagen sie fürchterliche Schuldgefühle, die sich in dem ›Schandfleck‹ auf ihrer Backe versinnbildlichen: Was für eine Hochstapelei! Die grandiose Idee ist in Wahrheit ›nichts‹! Und früher oder später wird man den Schwindel entdecken!
Doch das ist nicht ihre einzige Angst. Denn was werden eigentlich ihre Kollegen dazu sagen, wenn sie als Frau sich phallische Potenz anmaßt? Werden sie diesen ›Penisklau‹, diese Kastration einfach so hinnehmen? In ihrem Aufsatz Weiblichkeit als Maskerade erzählt die Psychoanalytikerin Joan Riviere von einem ganz ähnlich gelagerten Fall. Eine Frau, deren Arbeit »hauptsächlich darin bestand, zu schreiben und Vorträge zu halten«, bezog ihren Ehrgeiz als Schriftstellerin maßgeblich aus dem Wunsch, ihren (ebenfalls schreibenden) Vater zu übertrumpfen. Nach ihren Auftritten war sie jedes Mal von größter Angst geplagt – denn sie befürchtete Rache vonseiten der Männer. Wie kommt sie als Frau dazu, besser sein zu wollen als die Männer, die sie unbewusst mit ihrem Vater identifizierte? Um ihre ›Schuld‹ zu begleichen, um ihr unlauteres Mannsein zu vertuschen, vollführte die Frau eine »Maskerade der Weiblichkeit«, sie gab sich den Männern gegenüber sexuell unterwürfig, bedürftig, buhlte um ihre Anerkennung. »Es war der unbewusste Versuch, sich gegen die Angst zur Wehr zu setzen, die sich einstellte, weil sie nach der intellektuellen Leistung ihres Vortrags Vergeltungsmaßnahmen vonseiten der Vaterfigur befürchtete. Die öffentliche Zurschaustellung ihrer geistigen Fähigkeiten, die sie an sich erfolgreich durchführte, bedeutete, daß sie sich selbst als im Besitz des Penis ihres Vaters zurschaustellte.«
Dass Frauen, die im Konkurrenzkampf ›miterigieren‹ möchten, häufig (und natürlich durchaus nicht immer) von diffusen Schuld- und Schamgefühlen geplagt werden, heißt aber nun keineswegs, dass Männern die Erektion immer gelänge. Nur weil sie real einen Penis haben, agieren und wirken sie nicht automatisch phallisch potent. Wenn etwa Kollege
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