Wir Genussarbeiter
Heraus aus der Haut. Der schützenden, verschleiernden Hülle.
Tatsächlich ist die Haut ja nicht nur ent hüllend, sondern sie ver hüllt auch: Die gesunde, unverwundete Haut verdeckt alles Ekelerregende, Hässliche, Furchteinflößende am Menschen, sie verbirgt seine Organe, Sehnen und Muskeln; und wenn sie keine ›Irritationen‹ aufweist, wenn sie nicht gerötet oder ›gereizt‹ ist, sondern glatt und entspannt wirkt, vermag sie sogar hässliche Gefühlsregungen zu verstecken. »Wie die Knochen, Fleischstücke, Eingeweide und Blutgefäße mit einer Haut verschlossen sind, die den Anblick des Menschen erträglich macht, so werden die Regungen und Leidenschaften der Seele durch die Eitelkeit umhüllt: sie ist die Haut der Seele«, schreibt Friedrich Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches . Die Haut verschleiert das Innere des Menschen, sie ist der äußere Schein, der über das Grauen hinwegtäuscht. »Ein Biederweib im Angesicht, ein Schandsack in der Haut / Ist manche; Geiles liegt bedeckt und Frommes wird geschaut«, heißt es in Friedrich von Logaus Gedicht Zweifelhafte Keuschheit . Ein ›Schandsack‹, so verrät das Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart , ist eine »im höchsten Grade schändliche
oder unzüchtige Weibesperson«. So schön und sittsam, so keusch und schamhaft die Frauen nach außen hin tun, so liederlich sind sie in Wahrheit!
Dass der Dichter sich, was das Maskenhafte der Haut angeht, auf das weibliche Geschlecht bezieht, ist nicht überraschend: In der Tat schreibt man die Eitelkeit und das mit ihr verbundene Täuschungspotenzial ja eher Frauen als Männern zu. Die Frauen sind es, die durch ihre ›Schönheit blenden‹ und – man denke an die Verführbarkeit und Verführungskraft der biblischen Eva – ›falsch sind wie eine Schlange‹. Sie sind es, die sich schmücken und ihre Makel unter Schminke verstecken. Aber wie kommt es eigentlich, dass Frauen sich mehr um ihr Äußeres sorgen als Männer? Wie ist die weibliche Eitelkeit zu erklären? In seiner Abhandlung über Die Weiblichkeit schreibt Sigmund Freud: »An der körperlichen Eitelkeit des Weibes ist noch die Wirkung des Penisneides mitbeteiligt, da sie ihre Reize als späte Entschädigung für die ursprüngliche Minderwertigkeit umso höher einschätzen muss. Der Scham, die als eine exquisit weibliche Eigenschaft gilt, aber weit mehr konventionell ist, als man denken sollte, schreiben wir die Absicht zu, den Defekt ihres Genitales zu verdecken.« Die Frau, meinte Freud, habe ein peinliches und gleichermaßen furchterregendes ›Nichts‹ zwischen den Beinen, eine Leerstelle, die sie durch Eitelkeit – und also auch durch eine schöne Haut – zu kompensieren und zu verhüllen versuche. Nun kann man Freud selbstverständlich vorwerfen, dass er eine vermeintlich natürliche Mangelhaftigkeit der Frau mit deren kultureller Abwertung verwechselt; dass also weniger ihr biologisches Geschlecht als vielmehr jener Sexismus, an dem Freud selbst mitwirkt, für die Schamhaftigkeit der Frau verantwortlich ist. Auffällig ist aber immerhin, dass der weibliche Hang zum Verbergen wenn nicht ihre Ursache, so doch
zumindest eine Entsprechung im Genitalen findet. Während das männliche Geschlecht gut sichtbar, ja manchmal nachgerade stolz herausragt, liegt das weibliche zwischen Hautfalten, den sogenannten Schamlippen, verborgen. Ja, so gut versteckt hält sich die Vulva, dass es auf den ersten Blick in der Tat so aussieht, als existiere sie überhaupt nicht. Wenn man so will, dann ist das weibliche Genital also in einem ganz buchstäblichen Sinne das verdeckte ›Geile‹, der verborgene ›Schandsack in der Haut‹.
Der Mann hingegen macht aus seiner Sexualität keinen Hehl. Und als sei der Penis wahrlich nichts, um dessentwillen man sich schämen müsste, wird er auch in der Kunst seit jeher meist frank und frei gezeigt, während das weibliche Geschlecht fast immer verhüllt oder durch einen Schenkel verdeckt dargestellt wird. In seinem Anatomieatlas De humani corporis fabrica librorum epitome (1543) zum Beispiel malte Andreas Vesalius einen Adam mit offensiv zur Schau gestelltem Penis, während das weibliche Pendant Eva ihr Genital schamhaft mit der Hand bedeckt. Undenkbar, dass ein Mann auf diese Weise sein Geschlecht verbirgt; denn wenn er es täte, wirkte er nicht auf nachgerade lächerliche Weise weibisch?
Bild 4 ADAM UND EVA AUS De humani corporis fabrica librorum epitome (1543) VON ANDREAS
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