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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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spüren.
    Mit einer wie auch immer gearteten Genialität hat Verwirklichung durch Arbeit also zunächst einmal viel weniger zu tun, als man gemeinhin glaubt, sondern, viel fundamentaler, mit Arbeitsbedingungen. Die entscheidenden Voraussetzungen sind Zeit und Ruhe, die Möglichkeit zum wohligen Geborgensein in und mit der Arbeit. »[M]eine Einsamkeit schließt sich endlich«, schrieb Rainer Maria Rilke 1907 in einem Brief, »ich bin in der Arbeit wie ein Kern in der Frucht.« Nur wenn der Mensch sich voll und ganz auf seine Arbeit einlassen kann,
nimmt sie ihn in sich auf und gibt ihm als Geschenk, als Gabe, das gelungene Werk zurück.
    Ein Mensch, der liebt und zurückgeliebt wird, verausgabt sich aus Lust . Ein Mensch hingegen, der liebt, ohne dass ihm der Andere diese Liebe zurückspiegelt, verausgabt sich aus Angst . Ständig lebt er in dem Gefühl, sich um sein Gegenüber bemühen zu müssen, weil dieses ihn entweder keine oder eine in höchstem Maße zweifelhafte Gegenliebe spüren lässt. Er, der Andere, beantwortet Mails nur flüchtig, in den Vorschlag, sich zu treffen, sich Zeit füreinander zu nehmen, willigt er, wenn überhaupt, dann nur widerstrebend ein, und wenn doch, ist er bei der Begegnung gedanklich woanders, hat immer ein Auge auf seinen Blackberry. Je unsicherer sich der Liebende fühlt, desto mehr Energie investiert er. Er will dem Anderen alles recht machen, versucht ihm seine Wünsche von den Lippen abzulesen, zuvorkommend zu sein, hilfsbereit, stets ein offenes Ohr für seine Sorgen zu haben. Und natürlich ist er immer da, immer zur Stelle, ob leibhaftig oder mit einem stets angeschalteten iPhone. Jetzt? Sofort? Selbstverständlich. Gerne. Kein Problem. Eigene Ansprüche zu stellen oder auch nur auf seinen Körper zu hören, kommt ihm nicht in den Sinn, denn seine gesamte Aufmerksamkeit gilt dem Anderen, dessen Gesten, Reaktionen und Gefühlsregungen genauestens beobachtet werden. Nicht, weil der Andere wirklich so faszinierend wäre, sondern weil der verzweifelt Liebende sehnsüchtig auf einen Liebesbeweis von ihm wartet. Auf ein Zeichen, und sei es auch noch so klein. Aber es kommt nichts, zumindest nichts Eindeutiges, und so bemüht sich der Liebende weiter, immer in der Hoffnung, doch noch irgendwann mit seiner großen Liebe glücklich zu werden. Doch diese Liebe ist längst zu einem Abstraktum geworden, zu einem Wert an sich, ohne jeden Inhalt. Es geht
nur noch um die Liebe als Liebe. Sie zu haben, bedeutet alles. Sie nicht zu haben, ist der Tod.
    Der zwanghaft Liebende, der Workaholic, verwirklicht sich nicht in der Arbeit, sondern opfert sich für sie auf . Er dient ihr, um ihr zu gefallen und um sie nicht zu verlieren. Den ganzen Tag bringt er damit zu, Ansprüche zu erfüllen und Kontakt zu halten. Präsent zu sein. Nur wenn er online ist, hat er das Gefühl, mit seiner Arbeit in Verbindung zu stehen, gebraucht zu werden, und aus lauter Furcht, im entscheidenden Augenblick nicht da zu sein, steht er ununterbrochen und im ganz buchstäblichen Sinne unter Strom. Es könnte ja jemand etwas von ihm wollen. Und was, wenn er es dann nicht mitbekommt? Der Workaholic agiert in vorauseilendem Gehorsam, weil er sich austauschbar fühlt. Ersetzbar und nie genug geliebt. Unermüdlich kämpft er um Anerkennung, strengt sich an, weil er die Versicherung braucht, dass man ihn und nur ihn will und er besser ist als alle anderen. Bekommt er Lob, beruhigt er sich, ja, ihm schwillt womöglich sogar die Brust, er empfindet regelrechte Grandiositätsgefühle ; bleibt das Lob aus oder erntet er gar Kritik, kippt der Narzissmus sofort wieder um in tödlichsten Selbstzweifel. Sein gesamtes Ich legt der Workaholic in die Hände jener, die seine Leistung beurteilen. Heben sie den Daumen, fühlt er sich leicht und beschwingt; senken sie ihn, ist er zutiefst bedrückt. Der im zwanghaften Sinne ehr-geizige, also nach Ehre gierende Mensch glaubt an die Macht, verehrt sie und blutet innerlich, wenn sie ihm nicht wohlgesinnt ist.
    In dieser Hinsicht ähnelt der Arbeitssüchtige einem zutiefst religiösen Menschen: Wenn der göttliche ›große Andere‹ sich von ihm abwendet, fühlt er sich haltlos; und um ihn gütlich zu stimmen, geißelt er sich wie ein Asket. Ausgezehrt und mit dunklen Augenringen arbeitet er weiter, entsagt aller Nahrung, allem Schlaf, allem Genuss, als stünde seine Leistung
im Dienste von etwas Höherem , das ihm diese Qual stillschweigend abverlangt und sie am Ende belohnen wird. »Wisset

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