Wir Genussarbeiter
ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber einer erlangt das Kleinod? Laufet nun also, dass ihr es ergreifet!«, schreibt der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief über den Sinn und Zweck der Askese. »Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges; jene also, daß sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte also, nicht als der die Luft streicht; sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.« Der Asket kämpft ums Kleinod, um die Anerkennung Gottes, und um nicht verwerflich zu werden, verwirft er seinen Leib.
Sein Opfer indes bringt der Asket durchaus mit einer gewissen Befriedigung dar: Er geniefst seine Selbstqual. Der aufopferungsvollen Entsagung wohne eine Zwiespältigkeit inne, so formuliert es Friedrich Nietzsche, »welche sich selbst in diesem Leiden genießt und in dem Maße sogar immer selbstgewisser und triumphierender wird, als ihre eigene Voraussetzung, die physiologische Lebensfähigkeit, abnimmt.« Je mehr ich mich opfere, desto mehr werde ich geliebt , so lautet die Gleichung des Asketen respektive des Workaholics. Durch seine Qual will er sich läutern, sich reinigen von einer diffus empfundenen Schuld. Worin diese Schuld besteht, weiß er nicht. Er weiß nur, dass er sie abarbeiten muss. Ganz ähnlich wie der Erbsünder Adam.
»Der Aufbau des gesellschaftlichen Schuldgefühls ist eine entscheidende Leistung der Erziehung«, schreibt der Philosoph Herbert Marcuse. »Das herrschende Wertgesetz spiegelt sich in der stets aufs Neue reproduzierten Überzeugung, daß jeder, ganz auf sich allein gestellt, sein Leben sich im allseitigen Konkurrenzkampf verdienen muss, wenn auch nur, um
es sich immer wieder verdienen zu können, und dass jedem gegeben wird nach Maßgabe seiner verausgabten Arbeitskraft. Das Glück kann man sich dabei nicht verdienen. Ziel der Arbeit soll nicht das Glück sein und ihr Entgelt nicht der Genuss, sondern Profit und Arbeitslohn: die Möglichkeit weiterzuarbeiten.« Die Schuld, die den Menschen immer weiter und weiter und weiter arbeiten lässt, ist, so will Marcuse sagen, fundamental verknüpft mit dem Stellenwert und der Funktion von Arbeit in der spätmodernen Gesellschaft. Der Mensch arbeitet nicht bis zur Erschöpfung, weil er in seiner Arbeit eine tiefe Befriedigung empfände, sich also, wie im oben beschriebenen Sinne, durch sie verwirklichen würde; und er arbeitet auch nicht aus reiner Lebensnotwendigkeit. Vielmehr verausgabt er sich in seiner Arbeit, weil er ein kulturell eingepflanztes Schuldgefühl bekämpft. Nur wenn der Mensch arbeitet und sich im Konkurrenzkampf durchsetzt, ist er etwas wert; wenn er hingegen nur mit halber Kraft oder gar nicht arbeitet, ist er schuldig, schuldig vor dem herrschenden gesellschaftlichen Gesetz, das den Wert eines Menschen nach dessen Arbeitskraft bemisst.
»Nicht Muße und Genuß, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms«, so formulierte Max Weber Anfang des vergangenen Jahrhunderts in seiner Abhandlung Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus . »Zeitverlust durch Geselligkeit, faules Gerede, Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit dienlichen Schlaf – 6 – 8 Stunden – ist sittlich absolut verwerflich. « Nur wenn der Mensch arbeitet, anstatt sich Muße und Genuss hinzugeben, verdient er sich die Liebe Gottes. Heute sind wir längst so weit, dass selbst die Erhaltung der Gesundheit keinen Grund mehr darstellt, sich der Muße hinzugeben. Schlaf? Brauch ich nicht, redet sich der Produktmanager ein,
während er nachts im Flieger nach Thailand sitzt. Lieber noch einmal die Unterlagen für die morgige Sitzung studieren; und ohnehin bin ich viel zu nervös, um zu schlafen … Die Liebe Gottes ließ sich mit braver Dienstbeflissenheit und 6 – 8 Stunden Schlaf noch gewinnen; in der heutigen Gesellschaft ist weitaus mehr Einsatz und Arbeitseifer gefragt.
»Wie viele Aufsätze muss ich schreiben, um geliebt zu werden? «, fragt Miriam Meckel in ihrem Buch. Es geht nicht um den einzelnen Aufsatz, um seine Gestaltung, seinen qualitativen Wert, die Lust, mit der er verfasst wurde, sondern es geht um Quantität, um abstrakte Leistung, um Erfolg. Der Anspruch, dem man zu genügen versucht, ist nicht der konkrete Anspruch der Arbeit, sondern ein abstrakter
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