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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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gemacht habe, hat mir tatsächlich Freude gemacht. Ich reise gerne, ich schreibe gerne, ich arbeite gerne mit Studentinnen und Studenten, ich schiebe mit Vergnügen und Leidenschaft neue Dinge an und entwickle Ideen. Aber ich habe in alldem nicht ›die artistotelische Mitte‹ finden können zwischen dem ›Zuviel‹ und dem ›Zuwenig‹.« So schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel in ihrem Buch Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burnout . Meckel ist eine von vielen, die nachgerade entflammt sind für ihre Arbeit, die sie mit höchstem Energieeinsatz ausüben – und dann nach und nach ausbrennen. Geisteswissenschaftler, Künstler, Freischaffende, Banker, Manager, Firmenchefs, Lehrer und Krankenschwestern, die ihre Arbeit mit viel Idealismus verrichten, werden mit Nervenzusammenbrüchen in Kliniken eingewiesen, werden geplagt von ergebnislosen Grübeleien oder einem nervtötenden Piepen im Ohr, weil sie, anstatt auf Warnsignale ihres Körpers zu hören, auf Hochtouren weiterarbeiten. Wie aber kommt es, dass wir unsere Liebe zur Arbeit heute bis zur Selbstzerstörung übertreiben? Ist ›gesundes‹ Arbeiten wirklich nur eine Frage des richtigen Maßes, wie Meckel nahelegt? Was genau heißt ›Liebe zur
Arbeit‹ überhaupt? Ist Verwirklichung durch Arbeit und Sucht nach Arbeit tatsächlich dasselbe beziehungsweise höchstens graduell voneinander unterschieden?
    Ein Blick auf die Liebe im engeren Sinne, die zwischenmenschliche Liebe, macht den Unterschied zwischen einer freien, leidenschaftlichen und einer zwanghaft-obsessiven Hingabe deutlich. Frei und leidenschaftlich liebt, wer sich zurückgeliebt fühlt und die Hingabe, mit der er sich seinem Gegenüber widmet, von diesem gespiegelt bekommt. Die leidenschaftliche Liebe meint den Zustand des glücklichen Verliebtseins. Weit davon entfernt, den Anderen zu besitzen oder sich dessen Liebe allzu sicher zu sein, spürt der Verliebte doch deutlich, dass er gemeint ist (und nicht etwa austauschbar ist wie ein Rad am Wagen). Wenn er mit dem Anderen zusammen ist, blüht er auf, er kommt, wie man sagt, aus sich heraus, Seiten, die er bislang womöglich eher vor der Welt verborgen hielt, traut er sich plötzlich zu zeigen. Ja, manchmal fühlt er sich so ekstatisch vor Glück, dass er gemeinsam mit seiner Liebe ganze Nächte durchwacht. Dann kann er überhaupt nicht mehr von ihr ablassen, unentwegt muss er sie anfassen, anschauen, jedes noch so kleine Detail erkunden, will sich mit ihr vereinen, sich in ihr verlieren … um anschließend, verwandelt, verändert und umso verzückter, wieder bei sich selbst zu sein. Alle Anspannung fällt ab, der Verliebte versinkt im Traum, eng an seine Liebe geschmiegt und doch ganz bei sich, denn er weiß, dass sie, wenn er die Augen aufschlägt, noch da sein wird. Der glücklich Verliebte kann loslassen, weil er vertraut. Manchmal zieht er sich sogar für ein paar Tage zurück, und anstatt die ganze Zeit nur angstvoll darüber nachzudenken, ob seine Liebe ihn womöglich gerade betrügt, genießt er das trauliche Bei-sich-Sein, sich wiegend in wohliger Sehnsucht und dem Gedanken, dass er seine Liebe
nach einer Zeit der Abstinenz umso lustvoller wieder in seine Arme schließen wird.
    Ganz ähnlich gestaltet sich die Erfahrung, die ein Mensch macht, wenn er sich in seiner Arbeit verwirklicht: Er verlebt mit seiner Arbeit regelrechte Mußestunden und fühlt sich nachhaltig getragen, ja nachgerade beflügelt durch die Anerkennung, die er durch sie erfährt. Lange und ausgiebig setzt er sich mit seinem Gegenstand auseinander, widmet sich ihm mit Liebe und Hingabe. Dieser Gegenstand kann ein Gedanke sein, ein Text, ein Stück Holz, ein Bild, und auch ein anderer Mensch, wie etwa in Pflegeberufen oder in der Schule, kann ›Gegenstand‹ der Arbeit sein – wichtig allein ist, dass man mit dem Objekt, sei es nun ein Ding oder eine Person, eine Beziehung eingehen kann und dieses nicht nur als starres, unveränderbares oder unnahbar abstraktes Gegenüber sieht. Der sich arbeitend verwirklichende Mensch vollzieht mit seinem Gegenstand ein lustvolles Wechselspiel, durch das sich beide, sowohl der Gegenstand als auch der Arbeiter, verändern. Anders ausgedrückt: Um sich zu verwirklichen, muss es die Möglichkeit zur Gestaltung geben, der Mensch muss sich und seine Neigungen in seine Arbeit einbringen können und die Veränderung, die er bewirkt, nicht nur an seinem Gegenstand, sondern auch an sich selbst sehen und

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