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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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auch zermürbend, wie wir noch sehen werden. Nichtsdestotrotz ist das Feuer, das die leidenschaftliche Beschäftigung entfacht, weitaus langlebiger, wärmender und nicht zuletzt auch kulturell wertvoller als das Strohfeuer des Wettkampfs. Zwar mag der Wettbewerb die Produktivität in dem einen oder anderen Falle anheizen; meistens jedoch wird sie durch Konkurrenzdruck eher erstickt, weil Gedanken und Ideen nun einmal Zeit und Ruhe brauchen, um sich zu entfalten. Weniger der Wettkampf mit einem Gegenüber, als vielmehr die wechselseitige Inspiration – der überspringende Funke – ist es, wodurch neue Gedanken entstehen. Im Konkurrenzkampf aber steht gerade nicht die gemeinsame Hervorbringung im Vordergrund, sondern der Sieg, und der findet seinen Zweck ausschließlich in sich selbst – ganz ähnlich, wie auch der masturbatorische Akt des Enuretikers reiner Selbstzweck ist. Und so, wie der Urin /der Samen, mit dem dieser sich tröstet, schnell erkaltet, lässt auch die Wirkung des Sieges nach: Um die vermeintliche Potenz aufrechtzuerhalten, braucht man immer noch einen Erfolg und noch einen und noch einen.
    Dass die Kultur phallische Machtdemonstrationen letztlich überwinden muss, um zu gedeihen, illustriert zu guter
Letzt eine kleine Kulturhistorie, die Freud in seiner Schrift Das Unbehagen der Kultur erzählt. Der Urmensch, so Freud, habe eine »infantile Lust« befriedigt, indem er eine »züngelnde …, sich in die Höhe reckende … Flamme« durch einen Harnstrahl auslöschte. Dieses »Feuerlöschen durch Urinieren« deutet Freud als einen Konkurrenzkampf mit einem mächtigen, phallischen Gegenüber, denn die Flamme ist ja tatsächlich nicht nur gefährlich, sondern gemahnt auch der Form nach an einen Phallus. Der Kampf, schreibt Freud, »war also wie ein sexueller Akt mit einem Mann, ein Genuss der männlichen Potenz im homosexuellen Wettkampf«. Aber: Erst wer »auf diese Lust verzichtete, das Feuer verschonte, konnte es mit sich forttragen und in seinen Dienst zwingen. Dadurch, daß er das Feuer seiner eigenen sexuellen Erregung dämpfte, hatte er die Naturkraft des Feuers gezähmt«. Erst der Triebverzicht, der Verzicht auf die infantile Lust des Feuerlöschens, des Wasserlassens, des Wettkämpfens, sichert die große kulturelle Eroberung des Feuers – eine Einsicht, die man sich gerade heute groß über den Schreibtisch hängen möchte.

Zwanghafte Liebe
Über Arbeitssucht
    »Weil du auf die Stimme des Weibes gehört und von dem Baume gegessen hast, obwohl ich dir geboten hatte: Du sollst nicht von ihm essen, verflucht sei der Erdboden um deinetwillen. Unter Mühsal sollst du dich von ihm ernähren, alle Tage deines Lebens.« So heißt es im Buch Genesis. Am Beginn der Zeit war die Arbeit eine Strafe. Der sündige Mensch, so verfügte Jahwe, habe sich zu plagen, im Schweiße seines Angesichts habe er sein Brot zu essen, so lange, bis er irgendwann, müde und erschöpft vom vielen Jäten, Pflügen und Ernten, ins heilsversprechende Jenseits abwandert. Mittlerweile hat die Arbeit einen immensen Bedeutungswandel erlebt. Seitdem wir unsere Berufe frei wählen können und körperlich ruinöse Arbeit weitgehend von Maschinen erledigt wird, wollen wir uns, wenn wir arbeiten, nicht mehr plagen, sondern selbst verwirklichen, und tatsächlich scheint es, als wäre die Arbeit für immer mehr Menschen ein wahrer Genuss – allerdings in einem Maß, dass so mancher selbst am Wochenende und im Urlaub nicht mehr auf sie verzichten will. Pausen machen? Faulenzen? Müßiggehen? Wozu denn? Ich liebe doch meine Arbeit! Und werde außerdem immer so nervös, wenn ich sie nicht um mich habe… Also lieber nach Feierabend noch ein bisschen weiterarbeiten. Unterlagen studieren. Mails beantworten. Und den Blackberry auch am Sonntag ganz nah am Herzen tragen. Ja, die
libidinöse Bindung an die Arbeit ist heutzutage so groß, dass viele Menschen überhaupt nicht mehr von ihr lassen können und, im buchstäblichen Sinne, krank werden vor Liebe. Sie fühlen sich fahrig, gehetzt, zerfasert, schlafen nicht, essen nicht, meiden soziale Kontakte – wie Liebende, die von ihrer Liebe besessen sind …
    »Ich war fünfzehn Jahre um die Welt gereist, hatte gearbeitet, geredet, geschrieben, akquiriert, repräsentiert, bis der Arzt kam. Im Wortsinne. Ich habe keine Grenzen gesetzt, mir selbst nicht und auch nicht meiner Umwelt, die zuweilen viel verlangt, mich ausgesaugt hat wie einen Blutegel seinen Wirt. Und das meiste von dem, was ich

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