Wir Genussarbeiter
und die Frau die Schmerzen sowie mögliche körperliche Spätfolgen einer natürlichen Geburt vermeiden will, entscheiden sich Paare von vornherein für einen sogenannten Wunschkaiserschnitt: Ohne medizinische Indikation wird die Frau regional oder allgemein betäubt, das Kind wird aus dem Bauch geholt, die Frau anschließend wieder zugenäht. Bis in die Neuzeit hinein wurde der Kaiserschnitt nur an toten Frauen ausgeführt, um das Kind möglicherweise noch zu retten, und
bis vor einigen Jahren wurde er ausschließlich in medizinisch indizierten Notfällen angewandt.
Der Wunsch nach Schmerzfreiheit erfasst heute also zunehmend auch jene Bereiche des Lebens, die mit Krankheit überhaupt nichts zu tun haben. Dass es aber ohne Schmerz letztlich kein Glück geben kann, wusste bereits Friedrich Nietzsche. »Feinere Sinne und einen feineren Geschmack«, schrieb er, könne der Mensch nur haben, wenn er leidensfähig ist und sich der Gefahr des Verletztwerdens aussetzt. »Die Fülle der Arten des Leids fällt wie ein unendlicher Schneewirbel auf einen solchen Menschen, wie ebenfalls an ihm die stärksten Blitze sich entladen. Allein unter dieser Bedingung, von allen Seiten und bis ins Tiefste hinein dem Schmerze immer offen zu stehen, kann er den feinsten und höchsten Arten des Glücks offen stehen.« Wer den Schmerz um jeden Preis vermeiden will, lebt wie in Watte gehüllt und erlebt die Welt nur gedämpft. Der leidensfähige Mensch hingegen ist so angreifbar wie ein Mensch im Gewitter auf freiem Feld: Jeden Moment kann der Schmerz wie ein Blitz einschlagen, und genau dieser Offenheit, dieser Ausgesetztheit an den Schmerz bedarf es, um die höchsten Arten des Glücks, die Ekstase (griech: ›aus sich heraustreten‹), zu empfangen. Lust, Begierde; Liebe, Sehnsucht; der Reiz alles Fremden: Nichts von alldem kann erfahren, wer nicht auch dem Schmerz offensteht.
Was die Frau aus der Aspirin-Werbung wohl zu Nietzsches Satz gesagt hätte? Diese feine Frau in ihrer akkuraten Wohnung mit ihrem perfekten Mann? Vermutlich nur dies: »Ich nehme jetzt eine Tablette, und dann geht es mir gleich wieder gut.«
Narziss’ neue Nase
Das Heilsversprechen des perfekten Körpers
»Während des Trinkens liebt er berückt von dem Reiz des erschauten
Bilds einen leiblosen Wahn, was Welle ist, hält er für Körper,
Staunt sich selber an; und reglos bleibt mit gebanntem
Blick wie ein Standbild er starr, das aus parischem Marmor gehauen.«
So heißt es in Ovids Metamorphosen über den tragischen Helden Narziss. Gebeugt über eine Quelle verzehrt sich der schöne Jüngling nach seinem perfekten Alter Ego, aber sosehr er es auch begehrt, er vermag es nicht zu erreichen, da es nur als ›Welle‹, als virtuelle Oberfläche existiert. Aus lauter Verzweiflung über seine ungestillte Sehnsucht geißelt sich Narziss zu Tode, sein Leib verschwindet und alles, was von ihm bleibt, ist eine Blume. Woran Narziss im antiken Mythos so kläglich scheitert, das scheint uns heute in einem immer stärkeren Maße zu gelingen: Mittels der Schönheitschirurgie wollen wir uns mit unserem idealen Körperbild vereinen, wir wollen uns identisch fühlen mit uns selbst, wollen ohne Makel sein, ohne Fehl und ohne die Spuren des Alters. Allein in Deutschland lassen sich jährlich eine halbe Million Frauen und Männer aus kosmetischen Gründen operieren, die Zahl ästhetischer Eingriffe wie etwa Fettabsaugen, Nasenoperationen, Schamlippenveränderungen oder Brustvergrößerungen steigt stetig,
und der Faltenkiller Botox erzielt weltweit Rekordumsätze. Ein schichtenspezifisches Phänomen sind derartige Eingriffe längst nicht mehr: »Schönheitschirurgie ist eine Zivilisationserscheinung wie das Internet«, meint Werner Mang, einer der berühmtesten deutschen Schönheitschirurgen; seine Hauptkundin sei die Hausfrau von nebenan, die sich ein Facelifting gönnt und dafür auf den Urlaub verzichtet.
Die Zeit, in der man frank und frei über zurechtgeschnittene Gesichter und vergrößerte Brüste polemisieren konnte, ist offensichtlich vorbei. Angezeigt ist eher, die kategorische Ablehnung schönheitschirurgischer Maßnahmen zu hinterfragen: Handelt es sich womöglich nur um kruden Kulturkonservatismus? Was ist eigentlich so schlimm daran, den Traum vom Idealkörper zu träumen, wenn er doch in greifbare Nähe rückt? »Glücklich ist derjenige, welcher sein Dasein seinem besonderen Charakter, Wollen und Willkür angemessen hat und so in seinem Dasein sich selbst
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