Wir Genussarbeiter
genießt«, so behauptet Hegel in seiner Vorlesung über die Geschichte der Philosophie . Ist es insofern nicht begrüßenswert, ja, ein Segen, dass wir auch unseren Körper endlich nicht mehr einfach nur hinnehmen müssen wie eine Naturnotwendigkeit, sondern ihn unserem Charakter, unserem Wollen, ja unserer Willkür »anmessen« können? Verurteilen wir die modernen Mühen des Schönseinwollens womöglich nur deshalb, weil es, wie etwa die Journalistin Birgit Schmid meint, technischere und effektivere Mühen sind als früher? »Obwohl im Detail oder großumfänglich jede und jeder Hand an sich legt, um sich zu verschönern: Spätestens beim Wie und Wieviel wissen alle, was richtig und falsch ist. Man verurteilt es – wenn nicht offen, dann insgeheim –, sollte jemand größeren ästhetischen Aufwand betreiben. [...] Es ist moralisch besser, Körbchengröße AA oder eine Knolle im Gesicht zu haben als Brüste wie Katie Price oder eine Nase wie Michael Jackson.«
Beruht die Empörung über die Künstlichkeit moderner Schönheit also gar nicht auf Argumenten, sondern auf reiner Ideologie? Was ist dagegen einzuwenden, wenn Menschen sich für eine neue Nase entscheiden, weil sie unter der alten gelitten haben? Ist es nicht besser und vor allem glücksversprechender, sich einmal unters Messer zu legen, als jeden Morgen aufs Neue missmutig in den Spiegel zu schauen? Anstatt ein Leben lang unter abstehenden Ohren zu leiden, nimmt der moderne Mensch sein Schicksal selbst in die Hand, ein Besuch beim Schönheitschirurgen, und schon ist der Missmut von gestern. Das ergibt durchaus auch evolutionsbiologisch Sinn, denn schließlich ist die Schönheit selbst im Tierreich eine Überlebenstechnik: Was für den Pfau das Rad, ist für den Menschen der perfekte Körper, wer schön ist, findet einfacher einen sexuellen Partner und sichert so den Fortbestand der Gattung. Für die heutige Zeit gilt dies umso mehr, denn immerhin wird die Partnerwahl längst nicht mehr durch Traditionen vorgegeben, sondern hängt maßgeblich von der Attraktivität ab: »Die ›Mode‹, diejenige der Kleidung und diejenige des Körpers selbst, beerbt die traditionellen Codes für Partnerpräferenzen (Religion, Familie, Stand usw.)«, wie der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus erklärt. »In einer Welt, die zunehmend alle sozialen Rahmungen verzehrt, stehen die ›obdachlosen‹ Individuen nur noch als abstrakte einzelne Körper da – und suchen und finden eine Art Religionsersatz am Sosein des Körpers selbst. Diese Entwicklung kann als Rückkehr in die Zeiten tierischer Schönheitswahl gedeutet werden, als überraschender Kurzschluss von hochkultureller Moderne und archaischen Zeiten.«
Zwar hat ein fitnessgestählter oder schönheitsoperierter Körper mit evolutionsbiologischer Natürlichkeit nichts mehr
zu tun – aber ist die menschliche Schönheit im Unterschied zur tierischen nicht seit jeher künstlich? Und wird sie nicht auch seit jeher mit größtem Aufwand betrieben? ›Wer schön sein will, muss leiden‹, heißt es – und dieses Sprichwort gilt offensichtlich nicht erst seit Erfindung der Schönheitschirurgie. Tatsächlich hat es ja in jeder Epoche bestimmte Schönheitsideale gegeben, Ideale, die man genau wie heute um jeden Preis erfüllen wollte und die nur zu erfüllen waren, wenn man wie auch immer geartete Eingriffe am Körper vornahm. »Die Sehnsucht, attraktiv zu sein und gemäß dem jeweiligen Ideal perfekt auszusehen, der Wunsch, hängende Mundwinkel anzuheben, fehlende Brüste existent zu machen, lässt sich nicht als ›Zeitgeist‹ abtun«, so Birgit Schmid. »Der Mensch formt und stylt sich seit je. … Nicht zufällig ist ›Kosmetik‹, die Kunst des Schmückens, ein altgriechisches Wort und bedeutet, dass man dank der Schönheitspflege in Einklang mit sich und der Welt lebt. Der Körper wird geschmückt, gefärbt, zurückgestutzt, abgeschuppt, gedehnt, geritzt – in jeder Kultur, zu allen Zeiten.«
Nun mag man einwenden, dass es doch durchaus etwas anderes ist, ob man sich, sagen wir, Falten überpudert oder mit Botox aufspritzen lässt. Und zwar schon allein deshalb, weil das Überpudern ungefährlich, das Aufspritzen hingegen mit erheblichen Risiken verbunden ist. Botox ist eigentlich ein Medikament gegen Muskelkrämpfe und zählt zu den giftigsten Substanzen überhaupt. Zwei Kilogramm des hochpotenten Nervengiftes reichen angeblich aus, um die gesamte Menschheit zu töten, und wenn das Mittel falsch oder in
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