Wir Genussarbeiter
Narziss? An Narziss, wie er, gebeugt über eine spiegelnde Wasseroberfläche, verzweifelt sein perfektes, virtuelles Alter Ego zu umschlingen versucht und sich, da sein Unterfangen aussichtslos ist, selbst zu geißeln beginnt?
Tatsächlich scheint es, als hätten wir eben jene Sehnsucht, die Narziss in den Wahnsinn trieb, regelrecht zum gesellschaftlichen Prinzip erhoben. Indem wir unentwegt am eigenen Körper herumarbeiten, hoffen wir, das quälende Begehren endlich stillzustellen. Wir müssen uns nur mit der virtuellen Perfektion vereinen, die uns da allenthalben vor die Nase gehalten wird! Wir müssen nur endlich so aussehen wie Madonna oder Angelina Jolie!
Aber einmal angenommen, das wäre möglich. Eines Tages sähen wir tatsächlich genauso aus wie Lara Croft. Würden wir dann glücklich und zufrieden ablassen von unserem Wunsch, immer noch schöner und noch schöner auszusehen? Mitnichten, meint die Psychoanalytikerin Christa Rohde-Dachser: »In dem Maße, in dem der Mensch sich selbst mit seinem Schöpfer identifiziert, wächst ihm auch die Macht zu, seinen Körper nach seinem eigenen Wunsch zu formen. Der phantasierte Idealkörper wird dann zu einem erkorenen Objekt, das die Erfüllung des Begehrens verspricht, je ähnlicher man ihm wird … Auf diesem Weg gibt es kein Erbarmen, auch nicht gegenüber dem eigenen Körper, dessen Schmerzen in Kauf genommen werden, weil sie der phantasmatische Preis sind, der dafür gezahlt werden muss. Weil dieses Ziel aber außerhalb des Möglichen liegt, kann es auch durch eine Schönheitsoperation, welcher Art auch immer, nicht dauerhaft erreicht werden.«
Sosehr wir auch an uns herumschneiden lassen: Wir werden nie eins mit uns sein. Das Begehren nach dem perfekten Körper kennt kein Ende, weil dieser genauso unerreichbar ist wie das Antlitz, das Narziss in der Quelle erblickt. Dennoch ist es eben diese zutiefst selbstzerstörerische narzisstische Phantasie des Idealkörpers, die in unserer Gesellschaft ununterbrochen genährt wird. Jedes dritte Mädchen hat mittlerweile Essstörungen, 40 Prozent aller Mädchen zwischen sechs und 16 Jahren würden sich Fett absaugen lassen, wenn sie könnten, jeder hundertste Deutsche ist fitnesssüchtig, in den USA sind es angeblich noch viel mehr, und dass auch die Chirurgie zur Sucht werden kann, hat sich am jüngst verstorbenen King of Pop eindrücklich gezeigt: Alle zwei Monate unterzog sich Michael Jackson zeitweise den unterschiedlichsten Operationen, an Nase, Kinn, Wangen, Augen, immer wieder ließ
er seine Haut aufhellen, bis er zuletzt nur noch eine Fratze war, eine traurige Parodie seiner selbst. Diese gesellschaftlich geförderte, ja geradezu geforderte Autoaggressivität relativiert das Argument, dass uns in unserer aufgeklärten Gesellschaft immerhin niemand zu körperlichen Leiden zwinge, ganz entschieden. Es stimmt zwar, dass mich kein Mensch zwingt; aber ich zwinge mich, und das ist im Grunde viel schlimmer. Ja, wenn man unser modernes Verhältnis zum Körper vor dem Hintergrund der grassierenden Süchte betrachtet, dann sind wir im Grunde sogar unfreier als die Menschen in traditionellen Kulturen. Natürlich kann sich der Junge auf Neuguinea nicht gegen die Schnitte mit der Rasierklinge entscheiden, und es stimmt auch, dass die Rituale, die Menschen im Dienst einer kultischen Tradition über sich ergehen lassen müssen, außerordentlich schmerzhaft sein können. Aber diese Schmerzen sind immerhin aufgehoben in tradierten, sinnstiftenden Erzählungen und in Zeremonien, die einen klar definierten Anfang und ein klar definiertes Ende haben. In unserer Kultur hingegen weiß der Mensch gerade nicht , wann es genug ist – denn statt einer sinnstiftenden Erzählung gibt es nur das utopische Heilsversprechen des perfekten Körpers.
Von medizinischer Seite wird dieser prinzipiell unabschließbaren Perfektionierungslogik in immer stärkerem Maße Vorschub geleistet. Bestand die Aufgabe der Medizin die längste Zeit unserer Kulturgeschichte darin, einen kranken Körper zu heilen, verschreibt sich die Medizin seit geraumer Zeit dem Enhancement. Um den Erfordernissen der Leistungsgesellschaft zu genügen, muss der Körper optimiert werden – und damit er auch auf ihren Laufstegen bestehen kann, gehört seine rein äußerliche Perfektionierung neben dem Hirndoping ebenfalls zum Angebot der Medizin. Im Moment scheint es tatsächlich, als wären wir eher bereit, die natürlichen Grenzen
des Körpers künstlich ins Absurde zu
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