Wir Genussarbeiter
sich, bei Lichte betrachtet, mein gesamtes Leben nur aufgrund einer verschwundenen Falte ändern? Würde das nicht regelrecht an Zauberei grenzen? Tatsächlich ist die Vorstellung, dass der perfekte Körper das psychische Heil bringt, im Grunde nicht weniger abergläubisch als die kultische Götzenverehrung. Oder anders ausgedrückt: Den Grund für psychisches Elend einzig und allein im Körper zu suchen, ist in einem ganz buchstäblichen Sinne zauberhaft einfach.
Aus ihrer Erfahrung als Psychoanalytikerin erzählt Christa Rohde-Dachser den Fall eines Rechtsanwalts, der sich einer Schönheits-OP unterziehen wollte, weil er überzeugt war, dass er aufgrund seines markanten Kinns bei seinen Mitmenschen aneckt. »Ich selbst konnte an dem Gesicht des Patienten nichts Auffälliges entdecken und versuchte, ihm diesen Eindruck auch mitzuteilen, allerdings umsonst«, schreibt Rohde-Dachser. »Der Patient war bis zum Schluss überzeugt, daß es nur seine Kieferknochen waren und nicht etwa seine aggressiven Gefühle, die zu den Schwierigkeiten mit seiner Umgebung führten. Ich konnte damals nichts anderes tun, als sowohl dem Patienten als auch dem Kieferchirurgen meine erheblichen Zweifel daran mitzuteilen. Später hörte ich zufällig, daß der Patient sich doch der Operation unterzogen hatte. Wie es ihm danach ging, habe ich nicht erfahren. Ich vermute aber sehr, daß seine psychischen Probleme damit nicht aus der Welt geschaffen werden konnten.« Für Christa Rohde-Dachser liegt es auf der Hand, dass die Entscheidung für eine Schönheitsoperation in vielen Fällen aus einem unbearbeiteten inneren Konflikt resultiert. Ein Körperteil wird gewissermaßen als Opfer dargebracht, um sich subjektiv empfundener Schuld zu entledigen und auf diese Weise das Phantasma der idealen Welt aufrechtzuerhalten. Auch das kennt man bestens aus der Mythologie: Ödipus etwa beraubte sich selbst seines Augenlichts, um sich für den Inzest mit seiner Mutter zu bestrafen. Und ganz im Sinne strafender Selbstkasteiung heißt es auch in der Bibel: »Wenn aber dein rechtes Auge dich zur Sünde verführen wird, so reiß es aus und wirf es von dir, denn es ist dir besser, dass eins deiner Glieder umkommt und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.« (Matthäus 5,29)
Diese althergebrachte Psycho-Logik eines reinen, unschuldigen Körpers, der alles Böse aus sich herauswirft, wird
heute nicht nur weitergetragen, sondern nachgerade auf die Spitze getrieben von der Schönheitsindustrie, die den perfekten Körper moralisch auflädt. Wer eine glatte Haut (weg mit den Pickeln und Falten!), symmetrische Gesichtszüge (weg mit der krummen Nase!) und eine gute Figur (weg mit den Fettpolstern!) hat, ›ist mit sich im Reinen‹ und ein besserer Mensch. Und einer Frau, die mit 50 noch so aussieht wie mit Mitte 30, attestiert man eine gelungene, vitale Existenz, während diejenige, die so alt aussieht, wie sie wirklich ist, sich vermeintlich verbraucht, verschleudert, vernachlässigt hat. Dabei ist es ja in Wahrheit genau umgekehrt. Wer sich die Anzeichen seiner Vergänglichkeit wegoperieren lässt, flüchtet, so formuliert es Rohde-Dachser, »in einen narzisstischen Raum, in dem die Zeit still steht und Ende und Anfang ineinander übergehen«. Und ein solcher Raum mythischer Zeitlosigkeit kann letztlich nichts anderes sein als der Tod selbst. »Und reglos bleibt im gebannten Blick wie ein Standbild er starr, das aus parischem Marmor gehauen«, heißt es in Ovids Metamorphosen über Narziss’ perfektes, heiß begehrtes Gegenüber im Wasser. Die Angleichung an das Ideal ewiger Schönheit bedeutet also letzten Endes eine Angleichung ans Tote – und tatsächlich wirkt ja so manches schönheitsoperierte Gesicht wie eine Maske, der Zeit enthoben und im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzt.
Kommen wir am Schluss noch einmal auf den Satz Hegels zu sprechen, demzufolge derjenige glücklich ist, »welcher sein Dasein seinem besonderen Charakter, Wollen und Willkür angemessen hat und sich so in seinem Dasein selbst genießt«. Ein Mensch, der sich operieren lässt, um einem allgemeinen Schönheitsideal zu entsprechen, hat sein Dasein nicht seinem Charakter angepasst, sondern eben diesem allgemeinen Ideal. Natürlich existieren wir nie unabhängig von gesellschaftlichen
Schönheitsvorstellungen, und es mag tatsächlich Extremfälle geben, in denen ein chirurgischer Eingriff gerechtfertigt ist. Ein Mensch aber, der sein Aussehen im Sinne eines allgemeinen
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