Wir Genussarbeiter
Befriedigung der Begierde hervorgeht, dem Menschen höchstens einiges Vergnügen bereiten, niemals aber vermag sie ihm vollkommene und endgültige Befriedigung zu verschaffen.« Der Herr empfindet Befriedigung nur in der unmittelbaren
Befriedigung seiner Gier. Und weil die Befriedigung jeweils nur kurz anhält, giert der Herr sofort nach mehr.
In unserer heutigen Konsumgesellschaft sind wir im Grunde alle Herren im Hegel’schen Sinne. Wir konsumieren Dinge, die ›Knechte‹, vorzugsweise in Billigländern, produziert haben. Allenthalben wird hierzulande der Geldbeutel oder die Kreditkarte gezückt, sofern man sich zum Einkaufen überhaupt noch aus dem Haus bewegt. Bequem shoppen, so lautet die Devise. Nutzen Sie unseren Online-Service! Ein Mausklick, und der in Indien hergestellte Rattansessel wird frei Haus geliefert. Und wenn man bei Aldi fünf Paar Socken made in Taiwan für 2,99 bekommt: Wer ist da noch so verrückt und trägt sie länger als ein Jahr? Weg mit den ollen Dingern und schnell ein paar neue gekauft. Auf diese Weise wird eine Kaufsucht regelrecht antrainiert: Weil der Mensch kein Verhältnis mehr zu den Dingen hat, kann er nur noch ihren Konsum genießen. Oder wie es der Philosoph Herbert Marcuse formuliert: »Die Beschränkung des Glücks auf die vom Produktionsprozeß getrennt erscheinende Sphäre der Konsumption verfestigt die Partikularität und Subjektivität des Glücks in einer Gesellschaft, in der die vernünftige Einheit von Produktions- und Konsumptionsprozeß, von Arbeit und Genuß nicht hergestellt ist.« Genießen, meint Marcuse, heißt für uns heute: Beine hochlegen und konsumieren, was andere erarbeitet haben. Der Produktionsprozess selbst bleibt vom Genuss abgespalten. Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, das Augenmerk einmal auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ›Genuss‹ zu richten. Das mittelhochdeutsche Geniesz bezeichnete, so ist im Grimmschen Wörterbuch nachzulesen, »gemeinsame nutznieszung … was noch in genosse so nahe liegt«. Während wir heute den Genuss mit Konsum, Überfluss und kruder Selbstsucht in Verbindung
bringen, spricht seine Begriffsgeschichte eine ganz andere Sprache: Der Genuss im ursprünglichen Sinne des Wortes ist kein besonders luxuriöser und ichbezogener Akt, sondern ein sozialer und an die Arbeit gekoppelter: Man ›nutznießt‹ gemeinsam ein Feld oder eine Wiese, man ›nutznießt‹ das gemeinsam Erwirtschaftete, man ›nutznießt‹ gemeinsam die Früchte der Arbeit. Heute ist das Genießen nicht mehr abhängig von einem Acker, der früher oder später abgeerntet ist, sondern es ist allein abhängig von unserem Portemonnaie beziehungsweise einem Kredit, den uns die Bank gewährt. Und warum mit dem Konsumieren aufhören, wenn mehr sogar billiger ist als weniger? Wären wir nicht dumm, wenn wir während der Happy Hour nur einen Cocktail tränken? Laden nicht die mittlerweile allgegenwärtigen All-you-can-eat-Angebote dazu ein, sich, auch wenn man schon längst satt ist, noch weitere drei, vier Male ans Buffet zu schleppen und sich den Teller vollzuladen? Wer sieben Euro pauschal für das Frühstücksbuffet bezahlt, handelt unökonomisch, wenn er nur ein Ei und ein Brötchen isst. Mehr denn je wird unser Ess- und Trinkverhalten vom Geld und nicht von unseren tatsächlichen Bedürfnissen bestimmt. Wir wollen möglichst viel haben und möglichst wenig dafür bezahlen.
»[D]ie sinnliche Lust wird, weil sie so heftig ist, von denen erstrebt, die an keiner anderen ein Vergnügen finden können«, schrieb der antike Philosoph Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik . »So gibt es Menschen, die in sich selbst ein künstliches Durstgefühl hervorrufen … Denn sie haben nichts anderes, worüber sie Freude empfinden können.« Dieses ›künstliche Durstgefühl‹ ist das Prinzip der heutigen Konsumkultur: Unablässig erzeugt sie körperliche Bedürfnisse, die wir natürlicherweise kaum empfänden. Ach, Media Markt hat diese Woche (nur diese Woche!) Fernseher, die eigentlich
über 500 Euro kosten, für 100 Euro weniger im Angebot? Nichts wie hin!
Der Mensch im Spätkapitalismus hat ständig eine trockene Kehle. Immerzu denkt er, dass ihm etwas fehlt, etwas, das er JETZT UND SOFORT haben muss. Er läuft durch die Welt wie ein Kind, überall sieht er es glitzern und blinken, alles ist eine ständige Verheißung. Wenn ich nur dieses Sofa hätte … sprach’s, und schon ist das Konto überzogen – nur der Durst, der ist immer noch
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