Wir Genussarbeiter
nicht gelöscht.
Vor dem Hintergrund der grandiosen Verdrängungsleistung des Schnäppchenjägers, was globale Ausbeutungsverhältnisse angeht, ist es umso frappierender, dass ausgerechnet die Schnäppchenjagd heute als politischer Akt, ja gar als eine Art Revolution verkauft wird. »Wir hassen teuer«, lauten die massentauglichen Statements, und: »Ich bin doch nicht blöd!« Der Schnäppchenjäger lässt sich nicht für dumm verkaufen, er lässt sich nicht schröpfen ›von denen da oben‹, Euro ist Teuro, aber nicht bei Media Markt. Die neue große Volkspartei, so scheint es, ist der Discounter: Vorbei die Zeit, in der die unteren Schichten aufs Genießen verzichten mussten, shoppen gehen kann heute jeder, und vor dem Sonderangebot sind sowieso alle gleich. Und war Gleichheit nicht das Ideal der Französischen Revolution? Bitte schön, hier ist er, der billige Flachbildschirm, ergattern kann ihn auch ein Mindestlohnarbeiter, er muss sich nur seines eigenen Verstandes bedienen und wachsam Werbeprospekte studieren. Der Bezug zur Französischen Revolution mag für manche Ohren überzogen, nachgerade absurd klingen: Was hat die Schnäppchenjagd schon mit den Idealen der Aufklärung zu tun? Allein, man muss sich nur einmal aufmerksam die Werbung anschauen, um zu sehen, dass diese für die Menschheitsgeschichte so wesentliche Epoche längst zu einem prominenten Bezugspunkt
heutiger Reklame avanciert ist: »Telefonieren ohne Ende. Ich liebe meine Redefreiheit«, heißt es in der Werbung eines Telefonanbieters für eine Handy-Flatrate. Redefreiheit, auch Meinungsfreiheit genannt, war eine der größten Errungenschaften der Aufklärung. In spätkapitalistischen Zeiten heißt Redefreiheit: loslabern. Reden ohne Punkt und Komma und für möglichst wenig Geld.
So pseudopolitisiert wie heute war die Werbung in der Tat noch nie. Die Telekom etwa feierte den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls, als hätte sie diesen selbst herbeigeführt. Auf Plakaten war die Berliner Mauer zu sehen, davor Menschen, die sich hingebungsvoll mit ihren mobilen Entertainmenteinheiten beschäftigen. Das Motto der Kampagne: »Grenzen gab’s gestern. Kommunikation überwindet alle Grenzen.« Ein anderer Telekom-Spot spielte im Leipziger Bahnhof. Hunderte Menschen laufen durcheinander, bis plötzlich ein Startenor die Stimme erhebt und Beethovens Ode an die Freude anstimmt. Die Menschen bleiben stehen, erstarren zur Masse, blicken zum Tenor, fangen zu Tränen gerührt an zu singen: »Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt/alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.« Wir danken dir, Deutsche Telekom, für unsere Freiheit. Würde es dich nicht geben, wir säßen immer noch einsam und stumm oder höchstens mit Schnurtelefonen an Resopalwohnzimmertischen und wüssten gar nicht, was es heißt, frei wie ein Vogel zu twittern.
Das wiedervereinigte Deutschland feiert den Konsum. Unterdrückung gab’s gestern, heute wird geshoppt. Endlich dürfen alle ran an die Schnäppchen! Auch die Ostdeutschen, die jahrzehntelang entsagen mussten und umso größeren Nachholbedarf haben. Also flugs künstliche Verknappung herbeigeführt, um die Kauflust noch ein wenig zu steigern (»Nur
solange der Vorrat reicht!«), und dann: Komm, Ossi, schnapp! Braaaav. Das Sonderangebot ist das Leckerli für die Massen: Wer es nach Hause trägt, fühlt sich belohnt und beschenkt. Toll, das 199-Euro-Handy für 169! 30 Euro gespart! Dann nehme ich doch noch ein paar Rohlinge und Folienschreiber mit, die sind dann ja quasi umsonst. Doch es ist nicht nur das trügerische Gefühl des Beschenktwerdens, das den Reiz des Schnäppchens ausmacht. Zugeschnappt wird auch und vielleicht sogar vor allem deshalb, weil man anderen etwas wegschnappt. Was wäre langweiliger, ja sinnloser als eine Schnappjagd ohne Rivalität? Wer würde nicht misstrauisch, wenn er nachts allein auf dem Alexanderplatz stünde in Erwartung der Schnäppchen zur Kaufhausneueröffnung oder bei eBay als Einziger für einen alten Schrank böte? Nein, wer Lust an der Jagd haben will, braucht Konkurrenz, denn nur wenn andere einen Gegenstand auch haben wollen, wird dieser überhaupt begehrenswert. Bei der Schnäppchenjagd geht es nicht um den Gegenstand an sich, es geht nicht um den Gebrauchswert eines Dinges, sondern um den Tauschwert. Um das gierige Anhäufen von Gütern, die ihren Wert allein dadurch erlangen, dass ein anderer sie ebenso gern besessen hätte.
Doch kommen wir noch einmal
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