Wir haben gar kein Auto...
völlig umwickelt mit Kabeln, die die Mikrokamera mit der Videokamera verbinden, die wiederum in einer rosa Umhängetasche steckt. Das Ding hat Jutta vielleicht mal gehört, als sie zwölf war, und sie hat es im letzten Moment aus dem alten Plunder in einem ihrer Schränke herausgefischt. Eine solche Umhängetasche hätten selbst Dolce & Gabbana, die Verkörperung des schlechten Geschmacks, in ihren schlimmsten Träumen nicht entworfen.
Mehr als eine halbe Stunde kämpfen Harry und ich mit den Kabeln im Garten, und am Ende haben sich all die Schnüre um unsere Beine gewickelt, die von der Anspannung ganz steif geworden sind. Hilfe, mein Gehirn verknotet sich auch gleich! Mela macht uns einen Tee, um die Wartezeit zu versüÃen, während Jutta um einiges strenger als vorhin ruft: »
Voglio biciclare!«
Ich lache schallend. Sie braucht bloÃ, statt des korrekten
andare in bicicletta,
dieses drollige Verb zu benutzen, und schon kehrt meine gute Laune zurück. Wir bedanken undverabschieden uns, nicht ohne noch ein paar Erinnerungsfotos mit unseren Freunden geschossen zu haben.
Die heutige Strecke ist abwechslungsreich und angenehm. Am Anfang geht es, bei leichtem Gegenwind, sanft bergauf und bergab, über StraÃen mit immer weniger Häusern, hervorragende Wege, grün und samtig, von provenzalischer, was sage ich da!, bayerischer Schönheit. Ich bin glücklich, die Nase über dem Lenker und mein Schatten, am Vormittag extrem in die Länge gezogen, direkt hinter mir. Vor mir tritt mein Schatz, der sich immer wieder lächelnd zu mir umdreht, in die Pedale. Ich bemerke die Ameisen auf dem Asphalt, ein klassisches Zeichen für die Langsamkeit und die Anstrengung. Demnach fahre wohl auch ich gerade langsam? Was sollâs.
Auf dieser phantastischen Gedankenmischmaschine, die das Zweirad in Bewegung darstellt, galoppieren in erster Linie die Emotionen. Es stimmt, auf einem Fahrrad, mit dem man nicht schneller als unbedingt nötig fährt, langweilt man sich nie. Das Rad ist ein Shaker, der Erinnerungen, Bilder und Düfte vermischt. Wir bewegen uns â die eine schneller, der andere langsamer â in Richtung Andechs, wo wir Rast machen und das berühmte Benediktinerkloster besichtigen wollen. Von Zeit zu Zeit schleppen wir uns im niedrigen Gang eine Steigung hinauf, und gar nicht so wenige Konkurrenten demütigen uns, indem sie uns mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht auf ihren Vorkriegsrädern ohne Gangschaltung überholen.
Aber das ist mir egal. Mein persönlicher Rhythmus zwingt mich zur Langsamkeit, und ich fühle mich ungewöhnlich wohl, denn im Kontakt mit der Natur bin ich endlich ganz bei mir. Diese Erfahrung ist eine Herausforderung für mich, denn allein dadurch, dass ich mich auf meine körperliche Kraft verlassen muss, fühle ich mich stark, undschon die Tatsache, dass ich bei dem eher langsamen Tempo mit dem schwierigen Schotterboden fertigwerden muss, stählt meinen Geist.
Indessen brüllt mein Schatz aufmunternd: »Wo bleibst du denn? Jetzt komm schon, sei nicht so faul!«
»Die Faulheit ging auf den Markt und kaufte einen Kohlkopf. Mittag war vorbei, als sie nach Hause zurückkehrte. Sie setzte Wasser auf, machte Feuer und so weiter und so fort.«
Dieses Gedicht, von dem mir leider nur wenige Zeilen im Gedächtnis geblieben sind, rezitierte meine Mutter immer, als ich klein, um nicht zu sagen sehr klein war und noch nicht lesen und schreiben konnte. Natürlich diente es pädagogischen Zwecken (meine Mutter war Gymnasiallehrerin für Italienisch und Latein) und sollte mich für den Rest meines Lebens die Faulheit hassen und das Agieren lieben lehren. Mit anderen Worten: niemals untätig zu sein (wie heiÃt es noch so schön â das süÃe Nichtstun?), die angeblich notwendigen Dinge (welche?) zu Ende zu führen, kurz: dynamisch, entschlossen, unternehmungslustig und was weià ich nicht noch alles zu sein. Schön. Dabei bin ich gar nicht faul, ich bin nur ein bisschen langsam. Ich will nun mal nicht von der Eile besessen und getrieben sein. Eile ist völlig sinnlos und zudem gefährlich.
Während ich diese Zeilen schreibe, wartet die ganze Welt auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. »Amerika ist ohne Präsident«, titelt der
Corriere della Sera
über die ganze Seite. Das stimmt so aber nicht, denn
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