Wir haben keine Angst
zu spät in Billes beuligem, altem Golf in Richtung Schlosshotel, kurz außerhalb der Stadt, aufgebrochen, in dem das Fest steigen sollte. »Die haben bestimmt ein total geiles Büffet aufgefahren!«, hatte Bastian durch den Fahrtwind gerufen. »Und krassen Champagner! Wird bestimmt derbe lustig, wirste sehen!«
*
Anna hatte Felix vor einem Jahr auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt. Felix hatte die Küche betreten, sich neben sie gestellt, hatte sie angelächelt und sie nach ihrem Namen gefragt. Anna hatte drei Stunden mit ihm durchgeredet, ohne auch nur einmal zwischendurch auf ihr Handy zu gucken. Die beiden hatten das Fest erst verlassen, nachdem alle anderen gegangen waren, Felix war danach noch mit Anna durch die dunkle Stadt spaziert, er hatte sie bis nach Hause begleitet, und unten vor ihrer Haustür hatten sie sich zum Abschied fünf Minuten lang umarmt.
Für beide war offensichtlich gewesen, dass hinter Felix’ Einladung zu einem gemeinsamen Kaffee am nächsten Morgen eigentlich sofort die Frage stand, ob sie ein Paar werden würden. Ohne zu zögern, hatte Anna Ja gesagt.
Felix war zwar nicht gerade das, was Anna und ihre beste Freundin Marie einen Maker nennen würden. Aber er tat ihr gut. Denn Felix ruhte in sich selbst. Er hatte keine Probleme durchzuschlafen, er hatte keine nervös bedingten Rückenschmerzen, und er fand es nicht schlimm, wenn Anna aus Erschöpfung in ihrer Küche weinte. Er konnte sie sogar dann noch beruhigen. Vielleicht weil er selber keine Zukunftsangst kannte. Felix wollte Lehrer werden, vor seinem Referendariat wollte er sich Zeit nehmen, um in Ruhe zu studieren. Ihm war wichtig, dass ihm das, was er las und schrieb, Spaß machte. Ihm war der Kontakt zu den Kindern im sozialen Projekt bei ihm um die Ecke wichtig. Und ihm waren die Semesterferien wichtig, in denen er mit seinen Freunden im VW -Bus durch Südfrankreich fuhr. Wichtiger als sein Notendurchschnitt, der aber trotzdem ganz gut war.
Anna war von Felix’ Gelassenheit beeindruckt. Und von der Sicherheit, mit der er hinter ihr stand. Felix wollte sie und keine andere.
Er war einer dieser Menschen, die das Beziehungsstatus-Feld bei Facebook tatsächlich ausfüllen. Einer von denen, die sich irgendwann so sicher sind, dass sie mit der richtigen Person zusammen sind, dass sie tatsächlich »In einer Beziehung« schreiben.
Nach einem Monat sagte Felix das erste Mal »Ich liebe dich«. Es war der Tag, an dem er Anna das Little-Miss-Sunshine-Shirt schenkte. Anna lächelte. Ohne zu zögern, sagte sie: »Ich dich auch.« Ab da wurde alles noch viel schöner.
Felix schenkte Anna den Sternenhimmel. Er klebte unendlich viele kleine Leuchtsterne an ihre Zimmerdecke, neonfarbene Sticker, die das Tageslicht speicherten und nachts vor sich hinfunkelten wie Glühwürmchen. Er arrangierte sie so über dem Bett, dass Anna direkt auf die Mondsichel schaute.
Zum Geburtstag überraschte Felix sie mit einem gemeinsamen Wochenende in Paris. Dass sie dort in der Jugendherberge schliefen, weil er nicht so viel Geld hatte wie Anna, war ihr egal. Das gemeinsame Wochenende in Frankreich hatte sich angefühlt wie eine nicht enden wollende Gauloises-Werbung. Felix hatte sein Hemd weit aufgeknöpft getragen, im Café rauchte er lässig, während er Anna aus der
Monde
vorlas und mit der anderen Hand ihren Bauch streichelte. Anna trug eine riesige Sonnenbrille und einen Hut, den sie an einem Straßenstand im Marais gekauft hatten. Sie ließ ihre Füße am Ufer der Seine bräunen und brach sich ein Stück vom frischen, noch warmen Landbaguette ab, während Felix auf perfektem Französisch den Bäcker imitierte, der beim Anblick von Anna vor versammelter Kundschaft in gespielter Überwältigung »Quelle femme!« ausgerufen und in seine Hände geklatscht hatte, bis das Mehl aufgeflogen war. Felix strahlte in tausend Grübchen. Er war stolz.
Und Anna glücklich. »Liberté toujours«, schrieb sie auf die Postkarte an Marie. Mehr nicht.
*
Es stimmt: Vor nicht allzu langer Zeit waren wir alle noch komplett anders drauf. In den letzten Jahren sind wir noch auf einer ganz anderen Reise gewesen. Erst vor kurzem noch befanden wir uns auf einem großen, offenen Trip ins Unbekannte. Auf dem es um nichts anderes als um unsere persönliche Entwicklung ging. Auf dem es nicht so schlimm war, wenn wir uns, nachdem wir uns durch irgendwelche Zufälle getroffen hatten, wieder voneinander verabschiedeten. Auf dem wir es nicht immer gleich persönlich nahmen,
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