Wir haben keine Angst
Körperhaltung. Dieselbe Mischung aus starker Frau und labilem kleinen Mädchen.
Herr G. seufzt. Er sagt, Beziehungsunfähigkeit sei jetzt gleich schon wieder so ein großes Wort. Vielleicht solle man eher von wiederkehrenden Mechanismen sprechen? Mechanismen, die es abzuwenden gelte, wenn eine Paarbeziehung länger bestehen soll. Aber darüber müsse man sich natürlich überhaupt erst einmal klarwerden. Über das, was man eigentlich will.
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Dabei ist das Wollen nun wirklich nicht unser Problem. Wollen tun wir ja! Sogar sehr.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir nämlich mittlerweile überhaupt keine Lust mehr auf Suchen. Wir wollen endlich finden. Wir wollen zur Ruhe kommen. Uns endlich einmal entscheiden. Wir haben es satt, so bescheuert sarkastische Dinge wie »Lebensabschnittspartner« zu sagen. Denn wir finden es eigentlich weder lustig noch erstrebenswert, noch mutig, Beziehungen aufzugeben und alles hinzuschmeißen.
Und auch, wenn wir es nicht so leicht zugeben können und um Himmels willen nicht so verzweifelt auf der Suche danach wirken wollen: Wir alle sehnen uns nach Geborgenheit. Wir alle haben Angst vor Einsamkeit. Keiner von uns will ernsthaft für immer ein freischwebendes, ich-bezogenes, ewig flexibles Individuum sein. Auf Dauer wollen wir nicht allein, sondern zu zweit sein.
Irgendwann bald wollen wir jemanden finden, mit dem wir uns setteln können. Mit dem wir ein Zuhause aufbauen können. Vielleicht noch nicht jetzt sofort, aber eben doch in den nächsten Jahren. Denn egal, wie sehr wir unser selbstbestimmtes studentisches Leben auch genossen haben: Irgendwann soll auch mal Schluss sein damit. Und dann wollen wir mehr als ein Fach im geteilten Kühlschrank. Dann wollen wir mehr als den Scheiben-Gouda von »Ja!« und die eingeschweißte Salami von »Gut und Günstig«. Dann wollen wir nur noch das gute Gemüse von Alnatura und das Obst vom Wochenmarkt. In unseren Duschen soll dann nicht mehr nur Kram von Balea stehen. Wir wollen dann nicht mehr all unsere Unterwäsche bei H&M kaufen. Und das Wasser, das wir dann trinken, wird nicht mehr aus dem Hahn kommen, sondern gekauftes aus der Flasche sein. Und zwar nicht aus einer, die »Saskia« heißt. Unsere Kingsizebetten werden wir dann endlich auf Dauer mit jemandem teilen. Oder uns, noch besser, zusammen einfach ein neues, noch größeres kaufen.
So oder so ähnlich soll es dann aussehen, in unserem schönen, erwachsenen Zuhause, das wir uns bald einrichten.
Und wenn wir damit fertig sind, wollen wir Kinder. Wir alle träumen von kleinen, süßen Kindern. Denen wir Bioäpfelchen aufschneiden können. Die wir auf dem Spielplatz auf ihre vom Toben roten Bäckchen küssen, denen wir die Näschen putzen und denen wir verliebt hinterherlächeln können, wenn sie zurück in die Sandkiste rennen. Wir alle wünschen uns süße, kleine Kinder, die mitten in ihren gedankenverlorenen Spielen manchmal plötzlich zu uns aufsehen und uns »Mama« oder »Papa« entgegenrufen. Und die wir später, nachdem sie erschöpft auf unseren Armen eingeschlafen sind, zurück in unser schönes Zuhause tragen können.
Das Wollen, so glauben wir, ist nun wirklich nicht unser Problem.
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Als Bille vor ein paar Wochen die Einladung mit dem großen Schriftzug »Wir trauen uns!!« in ihrem Briefkasten gefunden hatte, hatte sie sofort Bastian angerufen. Nicht nur, weil Bastian immer für alles zu haben ist, immer Zeit und Lust auf alles hat, sondern vor allem, weil nur er Bille gegen die blöden Blicke abschotten können würde, die auf Hochzeiten wie der ihrer alten Schulfreundin Susi jeden, der alleine kommt, noch gnadenloser treffen als sonst.
Samstagmorgens um acht, für beide noch mitten in der Nacht, hatten Bastian und Bille sich also in Schale geschmissen. Bille hatte versucht, noch schnell Bastians knitteriges Hemd zu bügeln, während sich Bastian mit Hilfe von gegoogelten Anleitungen und Michi am Telefon darum bemüht hatte, seine Krawatte richtig zu binden. Bastians alte Anzughose war ihm zu kurz und gute Schuhe hatte er keine gefunden. Er ging deshalb in Wanderstiefeln. Bille hatte ihn ausgelacht. »Soll ich mich rasieren?«, hatte Bastian sie mit vom zu früh unterbrochenen Schlaf und von Zigaretten rauer Stimme gefragt. »Eigentlich ja, aber wir haben keine Zeit mehr, wir müssen los«, hatte Bille gerufen und war zum Auto gestolpert. Sie waren beide noch fertig von der vorherigen Nacht gewesen. Verkatert und mit Sonnenbrillen auf den Nasen waren sie eine Stunde
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