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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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Jahreszahl und schenkten uns das Buch dann gegenseitig zum Geburtstag. Zusammen mit vier schwarzweißen Passbildern aus dem Oldschool Fotoautomaten um die Ecke, auf denen wir mit unseren Händen ein Herz formten.
    Vielleicht hätte es geholfen, wenn wir Erich Fromms Weisheiten nicht nur zur Hälfte, sondern ganz gelesen hätten. Vielleicht auch nicht. Wir werden es nie erfahren. Denn aus irgendwelchen Gründen kam es dann jedenfalls doch nicht mehr dazu, dass wir den Auslandsaufenthalt als Beziehungschance begreifen konnten. Denn irgendwann war es plötzlich merkwürdig zwischen uns geworden. Auf einmal wollten die Sonntage im Bett nicht mehr wirklich funktionieren. Und außerhalb des Bettes hatten wir uns irgendwie auch nicht mehr so viel zu sagen. Unsere Beziehung war langweilig geworden. Oder kompliziert. Oder beides.
    Ohne dass wir es bemerkt hatten, war der Zweifel in unsere WG -Hochbetten eingezogen. Und wir hatten ihn erst gespürt, als es bereits zu spät war. Es war ein Gefühl, wie wenn man irgendwo in einer Zimmerecke eine Ameise entdeckt, dann noch eine und noch eine und noch eine – bis man geschockt realisiert, dass bereits die ganze Wohnung befallen ist und einem nichts anderes mehr übrigbleibt, als schreiend hinauszurennen. Wir vereinbarten erst einmal, auf Abstand zu gehen.
    Die Jungs legten das Erich-Fromm-Büchlein nach einigen Wochen in einen Schuhkarton und schoben ihn unters Bett. Sie lasen jetzt lieber doch noch einmal den
Fänger im Roggen
, den
Steppenwolf
oder irgendwelche anderen Bücher von Hermann Hesse. Die Mädchen taten dasselbe. Mit dem Unterschied, dass sie, statt J.D. Salinger zu lesen, immer wieder
Die fabelhafte Welt der Amélie
auf DVD sahen und danach das traurige Klavierstück vom Soundtrack auf Repeat hörten, während sie kannenweise Roibusch-Karamell-Tee tranken und ihre Gedanken in ihrem Tagebuch niederschrieben.
    Wir trennten uns entweder noch in der Woche vor unserer Abreise oder im ersten Vierteljahr im Ausland, dann weniger schön, spätabends per Skype.
    Mit der Verstärkung unserer spanischen, französischen oder italienischen Mitbewohner grölten wir danach ein paarmal »I will Survive« in der Version von Cake oder »Junimond« von Rio Reiser in die Nacht und schliefen danach alle zusammen auf dem Sofa in der Küche ein. Wir identifizierten uns nun extrem mit dem Typen von
L’Auberge Espagnole
, der nachmittagelang nichts anderes tat, als sich vor dem Fernseher zu betrinken, weil die süße Audrey Tautou ihn verlassen hatte.
    Nach dem Erasmussemester mussten wir wiederum einsehen, dass physische Nähe uns in Beziehungen doch nicht so unwichtig war, wie wir gedacht hatten. Nach einigen Wochen machten wir deshalb in einer erneut sehr merkwürdigen und unschönen nächtlichen Skypesitzung mit unseren einstigen petits amis, chéries oder amors Schluss und entschieden uns, dass eine deutschsprachige Beziehung auf Dauer vermutlich sowieso einfacher zu managen wäre.
    *
    Bislang höre sich das alles aber gar nicht so unfähig an, sagt Herr G. Er findet diese Beziehungsbiographie sogar eher auf gesunde Art »lebendig«. An manchen Stellen schmunzelt er leise in sich hinein.
    Bastian ist sich nicht sicher, ob er das als Beleidigung auffassen soll. Er entscheidet sich dagegen.
    Herr G. zückt seinen Notizblock.
    »Sie sagten, es gebe bei Ihnen immer so typische Abläufe. Was meinen Sie damit?«, fragt er.
    Bastian grinst. »Soll ich Ihnen jetzt die Verfallskurven meiner Beziehungen aufzeichnen, oder was?«
    Herr G. schüttelt den Kopf. Er lächelt. »Erzählen reicht, danke.«
    Bastian atmet tief aus. »Aaaaalso, wo fange ich denn mal an?«
     
    Für Bastian sind Frauen Streichhölzer. Aufreißen, Anzünden, Abbrennen, Ausglühen, Wegschmeißen. Das ist der Ablauf seiner Beziehungen. Einen anderen kennt er nicht. Das Einzige, was je variiert hat, war die Länge der Stadien. Manchmal brannte das Feuer sehr kurz, grell und heftig, manchmal ein bisschen schwächer und dafür länger, und manchmal glühte es einfach nur so vor sich hin. Das Ende aber kam immer irgendwann. Und direkt danach ein neuer Anfang. Sofort brannte irgendwo in der Nähe wieder ein neues Licht, in das Bastian sich stürzen konnte. Eine neue Flamme, die ihn begeisterte.
    Und so ist es auch heute noch. Am Anfang fährt Bastian für die Frauen, die sich in ihn verlieben, alles auf, was er hat. Er zeigt dann vollen Einsatz: Er ist romantisch, stürmisch, verspielt, verrückt. Bastian weiß, was für eine

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