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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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viel zu lange viel zu tief drinnen. Dazu haben wir die Stille einfach schon viel zu sehr verlernt.
    *
    Anna und Marie lassen sich auf eine Parkbank fallen. Gleich müssen sie zu Meike. Aber ein paar Minuten Quality-Time haben sie noch. Marie zündet sich eine Zigarette an. Sie raucht nur, wenn sie sehr gestresst oder sehr entspannt ist. Gerade ist sie beides auf einmal.
    »Naja, aber das wird Meike doch irgendwann vielleicht auch mal selbst merken?«, fragt Anna Marie vorsichtig, als sie sieht, wie tief Marie inhaliert. »Ich hatte das ja mit Katrin – die übrigens gleich auch da hinkommt – auch ein bisschen, als die hergezogen ist. Aber das hat sich dann relativ schnell eingependelt …«
    »Ist doch super, wenn die auch gleich kommt«, sagt Marie, während sie den Rauch ihrer Zigarette mit der freien Hand von Anna wegzufächern versucht. »Dann kann die dich danach ja noch nach Hause fahren, dann hat sie ’n bisschen Zeit mit dir alleine und kann über ihre Verlobung reden, und dann musst du nicht noch mal extra mit ihr ins Café, so wie letztes Mal.«
    Anna nimmt Maries leeren Becher und steckt ihn in ihren.
    »Ich fürchte halt nur«, sagt Marie und ascht in Annas Bechergebilde, »dass Meike da viel weniger Antennen für hat als Katrin. Die ist hartnäckiger, weißte. Wenn bei ihr was ist, dann meldet sie sich halt jetzt immer bei mir. Die gibt mir jetzt immer so Updates über ihre Probleme, weil sie denkt, dass das jetzt eben zwischen uns so ist.« Marie legt den Kopf in den Nacken und bläst den Rest Rauch in die Luft. »Dabei würde
ich ihr
nie im Leben irgendwas richtig Intimes erzählen, weißt du?«
    Marie erstickt den glimmenden Rest ihrer Zigarette im klebrigen Rest Karamellsirup.
    Anna nickt.
    *
    Mit »richtig intim« meinen wir nicht solche Dinge wie unseren Kontostand oder unsere Vorlieben beim Sex. Wir meinen damit Dinge wie unsere Angst. Wir meinen damit die Momente, in denen sie so richtig hochkommt. In denen wir uns so richtig klein fühlen. In denen uns alles zu viel wird und wir kurzzeitig so richtig verzweifelt sind.
    Wir meinen Momente wie den, in dem Marie bei ihrem letzten Praktikum vor Überforderung auf dem Klo zusammengebrochen ist. Phasen wie die, in der Anna sich nach der Trennung von Felix wiederfand, als sie tagelang erschöpft und lethargisch zu Hause hing und niemanden sehen wollte.
    Wir meinen Momente, die man uns eigentlich nicht zutrauen würde. Weil wir sonst immer so fit, so strahlend und so stark aussehen. Wir meinen Informationen, die als Schwächen auslegbar sind. Geschichten, die uns bloßstellen könnten. Tatsachen, für die wir uns schämen würden, wenn man sie über uns wüsste. Für die sich vielleicht sogar andere für uns fremdschämen müssten.
    Wir meinen Dinge, die man nicht jedem, sondern nur seinen besten Freunden weitererzählen darf. Weil sie einfach nur furchtbar, furchtbar peinlich sind.
    *
    Marie wirft die Pappbecher in den Müll. »So, auffi, Spatzerl«, sagt sie und reicht Anna die Hand, um sie von der Parkbank hochzuziehen.
    Anna war der einzige Mensch gewesen, dem Marie vor einigen Wochen auf genau dieser Parkbank von ihrem – wie sie es nannte – Selbstversuch erzählt hatte. Niemand anderes außer Anna hätte verstanden, dass ausgerechnet Marie, die es doch wie Anna eigentlich als Allerletzte nötig zu haben schien, sich bei einem Online-Dating-Portal anmelden wollte. Anna war die Einzige, der Marie die möglichen Kandidaten für ein Date gezeigt hatte. Die Einzige, die Christoph, den Parship mit Hilfe von komplizierten Rechnungen und anhand endloser Fragebögen zu Maries Lieblingsmarken, Restaurants, Reiseländern, Musik, Clubs, Städten und ihrer Auffassung einer idealen Beziehung als perfekten Partner ermittelt hatte, als durchaus geeigneten Anwärter abgenickt hatte.
    Es war Anna gewesen, die Marie später erklären musste, dass, nur weil Christoph beim Kaffeedate wirklich nett gewesen war und nur weil er, was den Job, das Aussehen, die Sportlichkeit und den Humor anging, bis ins Letzte das identische männliche Ebenbild von Marie zu sein schien, es nicht automatisch hatte funken
müssen
. Nur Anna hatte Marie danach geglaubt, dass mit ihr trotzdem noch alles normal ist und sie ganz sicher eines Tages jemanden finden würde, der neben seiner Perfektheit auch noch das gewisse Etwas haben würde.
    Und an dem Abend, als sie zusammen mit Kollegen von Marie einen Mann namens Christoph im Restaurant trafen und Marie bei der Frage danach,

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