Wir haben keine Angst
Fläche, auf die der Zufall jeden Tag wieder ein großes, chaotisches Klanggemälde malt. In ihnen vermischt er die Eingangsgeräusche von Milliarden von e‑Mails mit dem Schrillen von mobilen und festen Netzen, in ihm trifft der pochende Beat des Facebook-Chats auf das Blubbern der Nachrichten und das alte Telefonringen von Skype, durch das dazu noch ab und zu der undefinierbare Ton vom Google-Mailchat ertönt.
Und als ob diese große, penetrante, unausschaltbare kakophone Melodie, die schon zu spielen beginnt, noch bevor wir die Augen aufgemacht haben, und die uns gnadenlos begleitet, bis wir sie wieder schließen, nicht reichen würde, komponieren wir auch noch ein bisschen mit. Durch kleine Knöpfe oder große Hörer lassen wir es ohne Unterlass aus unseren gesammelten iTunes-Bibliotheken, YouTube-Channels, MySpace-Foren und sonstigen Musikportalen noch mitten in den Klangsalat hineinschallen.
Der verpixelt-schizophrene Sound, der bei alledem herauskommt, hört sich für uns eigentlich sogar ganz witzig an. Nur unsere Synapsen finden ihn manchmal nicht ganz so lustig wie wir. Mit dem Hyper-Multitasking an Tönen, Buchstaben, Stimmen, Gesichtern und Zahlen, die wir ständig zur Verarbeitung auf sie einpreschen lassen, katapultieren wir sie regelmäßig ins kognitive Aus. Und auch dann noch ist es uns leider unmöglich, auf das kopfschmerzig-herzrasige Überforderungsgefühl, mit dem unser Hirn zu streiken versucht, einzugehen. Denn wir haben die Stille verlernt. Und sind süchtig nach Geräusch geworden.
Schuld daran sind nur wir selber. Denn wir waren es ja selbst, die allen verraten haben, dass wir, wenn einmal kein grünes Häkchen neben unserem Namen aufblinkt, nur so tun, als wären wir nicht da, und während wir auf »unsichtbar« oder »abwesend« gestellt sind, eigentlich genau so wie immer die ganze Zeit mit der Nase am Bildschirm kleben. Wir waren es selbst, die allen gesagt haben, dass wir unser Handy wirklich
immer
in der Hosentasche tragen. Und wir waren es selbst, die sogar blöd genug waren, auch noch das allerletzte Refugium, das uns wenigstens für einige Stunden oder Tage eine Pause von uns selbst geben wollte, zu zerstören. Vermutlich haben wir einfach nicht nachgedacht, als wir glaubten, dass es sich schon nicht so schnell herumsprechen würde, wenn wir trotz aktivierter Abwesenheitsnotiz wie immer sofort auf unsere Mails antworteten.
Vielleicht sollten wir wegen alledem eine Selbsthilfegruppe gründen. In der wir uns dann gegenseitig beibringen könnten, wie man sich selbst ausschaltet. In der man lernt, wie man die Tabs, die man gerade erst geschlossen hat, weil man plötzlich merkte, wie unsinnig es ist, alle paar Sekunden sämtliche Accounts zu checken, nicht automatisch direkt danach gleich doch wieder zu öffnen. Eine Gruppe, in der einem erklärt wird, wie man seine Akkus alle werden lässt. In der man gemeinsame Übungen macht, bei denen man lernt, wie man ohne Telefon sein Haus verlässt. Wie man, ohne erreichbar zu sein, einkaufen geht. Und wie man es da draußen dann schaffen kann, das obsessive Phantomklingeln und das ungute Gefühl, splitternackt oder gar nicht mehr existent zu sein, loszuwerden. Übungen, bei denen man lernt, drinnen erst dann zum Handy und zum Notebook zu stürzen,
nachdem
man seine Schuhe und seinen Mantel ausgezogen hat.
Vielleicht könnten wir dann irgendwann auch irgendeinen Psychocoach einladen, der uns vormachen könnte, wie man in einem Café auf jemanden wartet, ohne noch mal eben ein paar alte SMS zu löschen, um bloß keine Sekunde ungenutzt zu lassen. Vielleicht würden wir, wenn wir ihm dabei zuschauten, endlich auch sehen und verstehen, dass die Welt
doch
nicht untergeht, wenn man einmal kurz so aussieht, als wäre man alleine da und als hätte man rein gar nichts zu tun.
Dass nach dieser Therapie der Ort, an dem wir uns physisch befinden, wirklich hundertprozentig deckungsgleich sein würde mit dem Ort, an dem unsere Psyche herumflattert, daran glauben wir natürlich schon lange nicht mehr. Aber vielleicht könnten wir zumindest den Prozentsatz unseres Selbst, mit dem wir in diesem Woanders, in dieser über allem schwebenden Sphäre meinen anwesend sein zu müssen, wenigstens ein bisschen senken.
Denn unsere Sucht nach der eigenen Aufspaltung in multiple Anwesenheiten ist auf Dauer echt ganz schön anstrengend. Und dass wir echt krank sind, ist ja auch ziemlich offensichtlich.
Alleine kommen wir da nicht mehr raus. Dazu stecken wir schon
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