Wir haben keine Angst
Woche. Das hat er noch nie getan.
Auf dem Fahrrad hört er seine Mailbox ab. »Willst du mitessen?«, fragt Bille auf Band. »Wenn ja, komm schnell vorbei, noch isses warm. Bis gleich!«
Bastian hält vor einem kleinen Buchladen. Er sucht eine Postkarte aus. »Wann krieg ich eigentlich
endlich
meinen Schlafsack zurück? Freu mich auf den Sommer. Dein B.«, kritzelt er an der Kasse schnell auf die Karte und reicht der Verkäuferin den Kugelschreiber zurück über die Theke. »Soll die zur Post? Ich gehe sowieso«, fragt die Frau hinter der Kasse. Bastian dreht die Karte um. Das alte Schwarzweißmotiv zeigt James Dean in seinem Porsche, wie er lächelnd den rechten Daumen in den Himmel streckt.
Bastian nickt. »Gerne.« Er legt die Karte auf den Tresen und macht sich auf den Weg zu Bille.
*
»Liegst du schon im Bett?«, fragt Marie Anna.
»Mmm-hmm«, nuschelt Anna in ihr Kissen. Marie weiß, dass, wenn Anna nachts nicht ans Festnetz geht, das noch lange nicht heißt, dass sie nicht zu Hause oder schon richtig eingeschlafen ist.
»War wieder krass heute, oder?«, sagt Marie. »Ich mein, diese Sendung ist ja auch lustig. Aber
so
lustig dann eben auch wieder nicht. Katrin schien ja auch echt eingeschüchtert zu sein, oder?«
Anna gähnt.
»Nicht wundern«, sagt Marie. »Ich geh kurz mit dir aufs Klo, ja?«
Anna justiert ihre Schlafbrille. »Katrin ist halt eher nicht so eine, die auf anderer Kosten lacht. Da kann Lukas schon ganz schön einschüchternd wirken, glaub ich«, lispelt sie durch ihre Anti-Zähneknirsch-Schiene.
»Du, und morgen Abend da im Layout, da bin ich einfach ganz normal, oder?«, fragt Marie. »Also, wenn der Typ was von mir will, soll
er
auf
mich
zukommen, oder? Am liebsten würd ich da ja gar nicht hin, aber ich muss wenigstens auf ein Bier vorbeigucken und Gesicht zeigen und eine Runde smalltalken und socializen und nett sein. Zur Not geh ich danach aber dann einfach. Oder?«
»Ja«, sagt Anna und gähnt noch einmal, »das ist gut. Genau so machst du das.«
Sie schließt die Augen. In der Leitung hört sie das Rauschen der Klospülung.
»Okay«, sagt Marie, »danke. Dann hören wir uns einfach morgen. Ich wünsch dir schöne Träume. Gute Nacht, meine Süße.«
*
Wie gut bewusste Peinlichkeit gegen unsere Angst vor ungewollter Peinlichkeit hilft, merken wir immer dann, wenn wir es zwischendurch alle zusammen mal wieder so richtig übertreiben. Wenn wir gemeinsam grotesk entstellt auf Bad-Taste-Partys Dr.-Alban- und 2Unlimited-Songs von irgendeiner alten Bravo-Hits- CD grölen. Oder wenn wir, statt direkt in die Szenebar zu gehen, mit unseren Leuten zur Abwechslung mal in der schabrackigsten Eckkneipe des Viertels am Tresen Korn bestellen und eine Runde zu Schlagern aus der Jukebox tanzen. Bei solchen Aktionen fällt unsere ultimative Horrorvorstellung, dass man uns ernsthaft lächerlich finden könnte und es sich nur keiner traut, es uns zu sagen, einfach von uns ab. Dann darf sogar jeder gerne Fotos von uns machen und sie überall verteilen. Denn dann fühlen wir uns kurz einmal so richtig sicher.
Fast so sicher wie auf unseren Inseln. Fast so sicher wie auf unserem Heimatplaneten. Natürlich mit dem Unterschied, dass wir dort nicht nur kurz, sondern immer vergessen dürfen, wie wir rüberkommen. Und uns deshalb auf ihnen nicht nur ein bisschen, sondern so richtig fallenlassen können.
Zu Hause, jenseits des Netzwerkes, dürfen wir einfach immer so sein, wie wir sind. Denn dort müssen wir niemandem etwas beweisen. Und den Menschen, die uns dann gegenübersitzen, wollen wir auch gar nichts vormachen. Sie dürfen ruhig alles über uns wissen. Denn wir können uns ja sicher sein, dass sie nie etwas davon gegen uns verwenden würden.
Sie sind schließlich die besten Menschen der Welt.
Eltern:
Die Angst vor dem Erwachsenwerden
»Nimm dir alles, was da ist.«
Unsere Eltern vor ihrem Kühlschrank
Wir alle sind mit einer Flatrate zur Welt gekommen. Direkt nach unserer Geburt ist sie freigeschaltet worden. Sie ist gratis, unkündbar und sie läuft auf Lebenszeit.
Unsere Flatrate beinhaltet so ziemlich alles Erdenkliche, was ein Mensch braucht. Essens-, Kleidungs-, Wohnungs-, Transport- und Ausbildungskosten sowie sämtliche andere Ausgaben, die so anfallen, werden je nach Wunsch zu Teilen oder komplett übernommen. Eine gebührenfreie Steuer-, Versicherungs-, Anlage- und Lebensberatungshotline ist 365 Tage im Jahr rund um die Uhr für uns erreichbar. Und zu Geburts- und Festtagen
Weitere Kostenlose Bücher