Wir haben keine Angst
gibt es noch eine Fülle an zusätzlichen, genau auf unser Kundenprofil abgestimmten Extraleistungen.
Aber all dieser Service ist erst der Anfang. Er ist eigentlich nur eine angenehme Nebensächlichkeit. Er ist nichts weiter als ein netter kleiner Bonus zum eigentlichen Kernpaket. Eigentlich gilt unsere Flatrate nämlich vor allem für etwas ganz anderes: für Gefühle.
Seit jeher ist sie unsere Garantie für Zuneigung. Für endlose Fürsorge und Unterstützung. Und für Liebe. Denn diejenigen, die damals, lange vor unserer Geburt irgendwann einmal miteinander den Vertrag für uns abgeschlossen haben und die ihn bis heute so zuverlässig erfüllen, sind keineswegs irgendwelche raffgierigen Dienstleister. Sondern unsere lieben, lieben Eltern.
*
Herr G. blättert in Annas Patientenfragebogen. »Vielleicht sprechen wir heute einmal über Ihre Familie?«, fragt er und schaut freundlich über seine Lesebrille zu ihr hinüber.
Anna nickt. Sie zuckt mit den Schultern. »Ich glaube allerdings, dass ich da eigentlich schon so ganz gut Bescheid weiß«, sagt sie.
Herr G. nimmt seine Brille ab. Er zieht eine Augenbraue hoch. »Was meinen Sie damit?«
»Naja«, sagt Anna höflich, »ich meine eben bereits zu wissen, was mein Problem ist. Nämlich, dass ich einen typischen Einzelkindschaden habe. Inklusive aller Vater- und Mutterkomplexe, die da so dazugehören.« Sie faltet abgeklärt die Hände in ihrem Schoß. »Aber das hab ich Ihnen ja alles auch schon aufgeschrieben.«
Herr G. nickt. »Ja, das habe ich gelesen.« Er legt Annas Fragebogen auf das Tischchen vor dem Fenster. »Aber meinen Sie, Sie könnten mir das auch mal vormachen?«
Jetzt zieht Anna eine Augenbraue hoch. »Wie bitte?«
Herr G. lächelt. »Einen Moment«, sagt er und verlässt den Raum.
*
Bastian sitzt im ICE . Am Freitagabend ist der Zug voller pickeliger Jungs vom Bund, die übers Wochenende nach Hause fahren. Bastian starrt auf die schweren matschigen Militärstiefel seines Gegenübers, der gerade eine Bierdose öffnet und auf seinen In-ears so laut Techno hört, dass das ganze Abteil mithören kann. Vor ihm auf dem Mülleimer am Fenster steht eine halbgegessene Pappbox mit Pomdöner, aus der eine fettige Plastikgabel ragt.
Zum Glück gibt es euch bald nicht mehr, denkt Bastian angewidert, während er dem Wehrdienstleistenden einen langen und abfälligen Blick zuwirft. Er rutscht tiefer in seinen Sitz, zieht die Kapuze seines grauen Hoodies ins Gesicht und schlägt demonstrativ sein Buch mit dem in der Mitte der Seiten eingeklemmten Textmarker auf. Vielleicht checkt der Typ ja, dass andere Leute die Zugfahrt zum Arbeiten nutzen wollen.
Er checkt es nicht. Durch die nicht enden wollende Durchsage des Schaffners fängt der Techno-Soldat jetzt auch noch an zu telefonieren. Bastian seufzt. Von draußen prasselt kalter Regen an die Scheiben. Sein Handy vibriert.
»Hast du an Mutters Blumen gedacht?«, schreibt Michi.
»Fuck«, murmelt Bastian. Er hatte vorhin kaum seinen Zug bekommen, weil er Bille noch beim Fahrradreparieren helfen musste. Aber Blume 2000 am Bahnhof hätte sowieso auch schon zu gehabt. »Nee«, schreibt Bastian zurück, »lass gleich welche pflücken, is eh romantischer.«
Umgehend klingelt sein Handy. »Alter, du hast
wirklich
keine Blumen besorgt?«, ruft Michi böse durch die schlechte Verbindung.
»Alter, seit wann nennst du mich Alter, Alter?«, motzt Bastian zurück. »Jetzt komm mal runter, ich pflück gleich welche, hab ich doch geschrieben.«
»Wir haben späten
Herbst
, Bastian! Da wachsen keine Blumen mehr, du Vollhorst«, meckert Michi.
»Ich find schon welche.« Bastian spricht lauter, als er eigentlich will, er muss den Typen gegenüber übertönen, der immer noch mit seinem Kumpel telefoniert und den gemeinsamen Partyabend plant. Bastian kickt mit dem Fuß seine Tasche zur Seite, die ihm im Weg liegt. Er geht auf den Gang.
»Mann, echt, da wird deine Mutter
sechzig
, und du schaffst es noch nicht mal, ein paar Blumen zu kaufen«, grunzt Michi ihm ins Ohr.
»Es ist ja wohl auch immer noch
deine
Mutter, oder?«, pöbelt Bastian zurück. Auf dem Gang ist es noch lauter als im Abteil. Die Waggontüren öffnen und schließen sich in dummer Automatik, das Geräusch der ratternden Gleise ist ohrenbetäubend und es zieht kalt. Aus der offen hin- und herschwingenden Klotür riecht es eklig nach Putzmittel.
»Immerhin komme ich überhaupt!«, verteidigt Bastian sich und versucht das Wackeln des Zuges
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