Wir haben keine Angst
sie uns nicht eines Tages auch noch um Hilfe bei der Einrichtung eines Facebook-Accounts bitten werden.
Kurzum: Unser Nähe-Distanz-Problem hat sich in letzter Zeit eigentlich sogar noch verstärkt. Von selbst wird es sich zumindest nicht lösen.
Aber das wollen wir ja auch gar nicht. Denn eigentlich empfinden wir es ja noch nicht einmal wirklich wie ein Problem. Schließlich mögen sich alle. Und die Ansicht, dass eine klassische Abnabelung voneinander für alle Beteiligten nicht nur strategisch, sondern auch emotional ein komplettes Eigentor wäre, beruht ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit.
Ein Problem wird das Ganze deshalb auch nur ganz selten einmal. Nämlich dann, wenn zwischendurch, unvorhersehbar, plötzlich, wie aus heiterem Himmel, unser Angstmacher Nummer vier auf die Bühne tritt. Und uns, eiskalt, die Sorge den Rücken hinunterjagt. Aber darüber wollen wir jetzt eigentlich gar nicht so gerne sprechen. Wir können nämlich von Glück reden, dass es nur ganz selten passiert. Und daran soll sich auch bitte nichts ändern.
*
Auch das zweite Kissen legt Anna direkt hinter sich. Schön symmetrisch parkt sie Ulla auf ihrer anderen Seite, gleich neben dem Vater-Kissen. »Fertig«, sagt sie zu Herrn G. Anna findet, dass er selbst schuld ist, wenn er so eine voraussehbare Übung mit ihr macht. Denn wo sollten ihre Eltern wohl sonst stehen als direkt in ihrem Rücken?
»Stellen Sie sich mal auf Ihr Kissen«, fordert Herr G. sie auf.
Anna zieht sich ihre Stiefel aus. Sie lehnt sie an die Zimmertür. Vorsichtig tritt sie auf das Anna-Kissen. Der Stoff ist weich. Sie steht wie auf Watte. Es fühlt sich gut an.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragt Herr G.
»Gut«, lächelt Anna.
Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie nun auch Herr G. seine Schuhe auszieht. Mit einem Fuß schiebt er den anderen aus seinen pantoffelartigen Schlappen. Seine Strümpfe sehen aus wie selbstgestrickt.
»…
noch
zumindest«, murmelt Anna.
*
»Danke, dass du das hier machst, mein Schatz«, Gisela wuschelt Bastian über den Kopf und nimmt ein Sektglas vom Tablett auf der Ablage über dem Geschirrspüler. »Hattest du eine gute Fahrt?«
Bastian nickt. Kaum zur Tür hineingekommen, hatte Michi ihn in die Küche geschoben und dort zum Befüllen der Sektgläser für die Gäste rekrutiert. Im Minutentakt hört Bastian, wie sich im Flur die Türklingel und die Stimme seines Bruders, der dort den Empfang managt, abwechseln.
»Hast du Hunger?«, fragt Gisela. Sie lehnt in der Küchentür und zupft kleine Fussel von ihrem bordeauxroten Wollkleid. »Da sind so kleine Häppchen auf den Platten im Wohnzimmer. Oder noch ein ganzer Pott Ratatouille auf dem Herd. Oder sonst natürlich alles im Kühlschrank. Nimm dir alles, was da ist, ja?«
Bastian geht in die Knie, um zu vergleichen, ob in jedem Glas gleich viel ist. »Nee«, sagt er, »danke, schon gut.«
Seine Mutter bleibt in der Tür stehen und beobachtet ihn. Bastian lächelt schräg von unten zu ihr hinüber. Sie lächelt zurück. »Es ist gut, dich zu sehen«, sagt Gisela. Ihre Stimme klingt plötzlich brüchig. Sie streckt ihre zierliche Hand zu Bastian aus. Bastian drückt sie. »Du musst dich jetzt mal langsam um deine Gäste kümmern, meinst du nicht?«, sagt er. Gisela nickt und wuschelt ihm noch einmal über den Kopf.
Mit einem großen Knall schießt Bastian einen Korken an die Decke. »Ah, da ist ja mein Sohn«, Bastians Vater biegt um die Ecke zur Küche. »Immer da, wo’s knallt, ne? Höhö«, lacht er und klopft Bastian leicht auf die Schulter. »Weißt du«, sagt er und bückt sich, um den Sektkorken aufzuheben, »jetzt sind wir steinalt. Du hast nun richtige
Fossilieneltern
. Zusammen sind wir jetzt nämlich …«, er hebt den Zeigefinger, »
hundertzwanzig
Jahre alt. Was sagst du dazu?« Reinhard schmunzelt in seinen Bart. Er legt den Arm um seine Frau. »Dein Bruder und Steiners sind übrigens gerade eingetroffen. Die haben irgendein riesiges Geschenk für dich draußen.«
»Oje«, sagt Bastians Mutter, sie rollt mit den Augen und nimmt sich noch ein Glas vom Tablett. »Na dann schau ich mal nach.«
Bastian lässt eine zweite Flasche knallen. Der Kellnerjob bringt ihm Spaß. Wieder hebt sein Vater den Korken auf. Er dreht ihn in seiner Hand hin und her. »Geht’s dir denn gut, Bastian?«, fragt er seinen Sohn. »Fühlst du dich in der Wohnung noch wohl?«
Bastian nickt. »Alles gut, ja«. Er geht wieder in die Knie zum Sektvergleich.
»Wenn du mehr Geld brauchst,
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