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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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Verstanden?!«
    Ulrike reagierte nicht. Sie war verstummt. Wolfgang schaute auf seine Schuhe. Anna schniefte. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    »Wollen wir vielleicht das Kino sonst einfach ins Wasser fallen lassen und lieber gleich ein Glas Wein bei uns trinken?«, fragte Wolfgang nach einer Weile in die Stille hinein.
    Anna nickte.
    »Na, dann komm, Linchen«, sagte ihr Vater sanft. Entschlossen stand er auf und reichte Anna die eine und Ulrike die andere Hand. »Kommt, wir gehen nach Hause.«
    Zusammen standen Anna und Ulrike auf. Anna hakte sich rechts und links bei ihren Eltern ein. Sie ließen die Bank und das Kino hinter sich. Es kamen keine Tränen mehr.
    *
    »Ich hab halt immer das Gefühl, ich krieg die
Balance
nicht hin«, versucht Bastian Herrn G. zu erklären, seine Hände fuchteln in der Luft herum, als würde er jonglieren. »Ich denk halt die ganze Zeit immer, dass ich eigentlich total eng mit denen sein will – und dann, sobald ich bei ihnen bin, irgendwie wieder das Gegenteil. Macht das eigentlich grad irgendeinen Sinn, was ich sage?«
    Herr G. nickt. »Klar«, sagt er. »Würden Sie sagen, Sie haben Angst, Ihre Eltern zu enttäuschen?«
    Bastian schüttelt den Kopf. »Nee. Das isses nicht … Das ginge auch irgendwie gar nicht.« Er zuckt mit den Schultern.
    »Sie meinen, Sie
könnten
sie gar nicht enttäuschen?«
    »Nee«, Bastian schüttelt wieder den Kopf, »weil die einem ja immer das Gefühl geben, dass alles schon so okay ist, wie es ist. Dass ich schon okay so bin, wie ich bin. Die einzige Enttäuschung wäre für sie vielleicht, wenn ich drogensüchtig werden würde oder so. Oder krass kriminell.«
    »Okay. Verstehe«, Herr G. notiert sich etwas. Er nickt beim Schreiben. Sein Stift kritzelt irgendeinen ellenlangen Satz vor sich hin. Bastian reckt seinen Kopf, vergeblich versucht er etwas zu entziffern. »Verstehe«, wiederholt Herr G. und klappt demonstrativ das Notizbuch zu.
    *
    Für unsere Eltern sind und bleiben wir die wertvollsten Menschen der Welt. Auch wenn sie mittlerweile manchmal so tun, als hätten sie sich von uns emanzipiert und würden jetzt, da wir so etwas Ähnliches wie erwachsen sind, nur noch ihr eigenes Leben in den Vordergrund stellen, anstatt es um uns zu zentrieren: Insgeheim – das wissen sie und das wissen wir – sind wir immer noch der Mittelpunkt ihrer Leben.
    Für uns würden sie immer noch alles jederzeit stehen und liegen lassen. Wenn es drauf ankäme, würden sie für uns sofort all ihre Pläne absagen, sie würden ihr letztes Hemd verkaufen, sich selbst vergessen und uns, ohne auch nur einen Moment daran zu zweifeln, alles, was sie an Zeit, Nerven und Energien zu geben hätten, opfern.
    Und uns geht es, wenn wir ehrlich sind, nicht ganz anders. Auch wir tun mittlerweile natürlich so, als hätten wir uns von ihnen emanzipiert. Als würden wir jetzt, da wir so etwas Ähnliches wie erwachsen sind, nur noch an unser eigenes Leben denken, anstatt es immer wieder zu ihnen zurückzuleiten. Wir tun so, als wären wir nicht abhängig von ihnen. Als könnten wir problemlos auch ohne ihre Stützräder fahren. Als hätten wir sie eigentlich schon längst abmontieren und den Weg genauso gut auch alleine finden können. Dabei – das wissen sie und das wissen wir – sind unsere Eltern eigentlich immer noch unser einzig wirklicher, geheimer Kompass.
    Dass die Distanz zwischen uns und ihnen mit der Zeit also irgendwann von selber einmal größer werden wird, ist deshalb nicht abzusehen. Im Gegenteil. Denn seit unsere Eltern, die einstige Generation Doppelklick, sich auch noch kommunikativ gemacht hat – wir wollen ja auch nicht unfair sein: das hat sie wirklich! –, sind sie uns nur noch näher gerückt. Dadurch, dass unsere Mütter und Väter irgendwann verstanden haben, dass meistens schon ein einmaliges Klicken genügt, um ans Ziel zu gelangen und unsere e‑Mails zu öffnen oder Skype zu installieren, seit sie gelernt haben, wie man ein Handy an- und ausschaltet, wie man unsere Nummern im Telefonbuch speichert, diese anruft oder unseren Anruf entgegennimmt und wie man eine SMS schreibt und empfängt, hören wir sie noch mehr als vorher. Fröhlich simsen wir ihnen, und sie simsen uns – inzwischen sogar beachtlich schnell und stilistisch manchmal geradezu überraschend gehaltvoll – zurück. Einige von ihnen sollen jetzt sogar schon eine Webcam bedienen können. Womit es nicht einmal mehr gänzlich ausgeschlossen zu sein scheint, dass

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