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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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einen Boxkampf, den er früher einmal gesehen hatte, bei dem sich zu Beginn der ersten Runde beide Boxer geweigert hatten, ihre Ecke zu verlassen.
    »Erstellst du wirklich einen Bibliothekskatalog?« fragte er.
    »Ja, klar«, antwortete Ortlinde in äußerst gekränktem Ton.
    »Entschuldigung. Dann hast du also wirklich eine Ausbildung als Bibliothekarin gemacht?«
    »Nein«, erwiderte Ortlinde, »ich hatte nie die Möglichkeit, einen Beruf zu lernen. Aber zu Hause haben wir Millionen von Büchern, und mein Vater stellt sie nie wieder da hin, wo er sie hergeholt hat. Er ist reichlich unordentlich.«
    »Wie alt bist du eigentlich?« erkundigte sich Malcolm plötzlich.
    »Eintausendzweihundertsechsunddreißig.«
    »Ich bin fünfundzwanzig«, erklärte Malcolm, woraufhin er noch den Witz anschloß, er habe schon immer ältere Frauen bevorzugt.
    Ortlinde lächelte matt und sagte: »Das alles hat keinen Sinn, oder?«
    »Was hat keinen Sinn?«
    »Na, so weiterzumachen. Aber du kannst wirklich nichts dafür. Das ist allein meine Schuld.«
    Sie blickte wieder einmal verlegen auf ihre Schuhe und fuhr fort: »Ich habe dich angelogen. Ich bin hierhergeschickt worden, um etwas ganz Bestimmtes zu tun, und nicht mal das habe ich geschafft. Die Sache ist einfach die, daß mich bisher nie jemand geliebt hat, und ich habe bis jetzt auch noch niemanden geliebt. Aber du kommst schon darüber hinweg, das weiß ich genau. Irgendwann lernst du eine andere Frau kennen, und dann …«
    »Ich will aber keine andere Frau kennenlernen!« widersprach Malcolm entschieden. »Nie wieder. Ich gebe dir den Ring, sobald ich alles … alles geregelt habe.«
    »Aber das darfst du nicht! Sobald du das tust, wäre dir doch klar, daß ich dich im Stich ließe, und mir wäre das genauso klar. Dann könntest du dich nicht mehr mit mir verständigen, und ich könnte mich nicht mehr mit dir verständigen, und dann würde sich dieser furchtbare Ärger aufstauen, und schließlich könnten wir beide nicht einmal mehr miteinander reden …«
    Malcolm fand, daß sie genauso sprach, wie ein Hase rannte: Zuerst brach sich ein kurzer, entsetzlich schneller Wortschwall Bahn, der von einer endlos langen Pause gefolgt wurde, nach der wiederum die Sprechwerkzeuge zu einem erneuten atemberaubenden Sprint ansetzten. Zudem flocht Ortlinde alle paar Wörter ein unsicheres Lächeln ein, bei dem sich Malcolm jedesmal so fühlte, als zerquetsche ihm jemand das Herz wie einen Mostapfel. Wenn er keine Möglichkeit fand, sie ein bißchen lockerer und fröhlicher zu machen, würde das Zusammenleben mit ihr unerträglich werden. Andererseits wäre ein Leben ohne sie mindestens genauso unerträglich oder sogar noch schlimmer. Was sollte er also tun?
    »Natürlich können wir dann noch miteinander reden«, sagte er in bestimmtem Ton. »Ich brauche dir nur den Ring zu geben. Den werde ich dir deshalb schenken, weil ich das möchte und dir damit zeige, daß ich dich mehr liebe als alle anderen Wesen und Dinge auf der Welt.«
    »Nein, das tust du nicht. Das kannst du nicht. Das darfst du nicht!«
    Malcolm kam sich so vor, als hätte man ihn nach seinem Namen gefragt und dann seiner korrekten Antwort widersprochen. »Warum denn nicht?«
    »Weil ich alles andere als lieb und nett bin«, erwiderte Ortlinde, wobei sie mit fast tragischem Blick auf ihre Schnürsenkel starrte. »Ich bin sogar richtig eklig.«
    »Nein, das bist du nicht.«
    »Bin ich doch!«
    »Bist du nicht.«
    Wahrscheinlich hat sie noch nie an einem Krippenspiel teilgenommen, überlegte Malcolm, und hat deshalb keine Ahnung, was richtig eklig ist. »Ehrlich, du bist eine tolle Frau. Ich liebe dich, und du liebst mich. Das ist doch alles so verdammt einfach, das kriegt wirklich jeder Vollidiot auf die Reihe! Kapierst du denn überhaupt nichts?«
    Malcolm schrie mittlerweile, und Ortlinde war so zerbrechlich geworden wie eine in flüssigen Sauerstoff getauchte Rose. »Na, komm schon«, fuhr Malcolm mit mühsam gesenkter Stimme fort. »Wir hatten das doch alles schon vor ein paar Stunden geregelt. Willst du denn nicht glücklich sein?«
    Lange herrschte Schweigen. Aber dabei handelte es sich beileibe nicht um eine Denkpause, sondern vielmehr um den Widerwillen, überhaupt ein Gespräch zu führen. So ähnlich muß es sein, wenn man sich mit einem Kleinkind streitet.
    »Also, was ist? Guck mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Ortlinde und blickte noch weiter weg.
    »Na, dann …«

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