Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
Liebe, wodurch alles wieder ins Lot gebracht werden soll. Anstatt zu versuchen, das Durcheinander in Ordnung zu bringen oder einen Impfstoff zu finden, strengt ihr euch im Gegenteil besonders an, der sogenannten Liebe auch noch ein Denkmal zu setzen. Ich habe ja erst vor kurzem eure bildende Kunst und Dichtung erwähnt. Was sind darin wohl die bevorzugten Themen? Natürlich Liebe und Krieg. Also die beiden Dinge, die jede Spezies hinkriegen kann und größtenteils viel vernünftiger bewerkstelligt als eure Horde. Bumsen und Töten, das sind die beiden Tätigkeiten, die ihr Menschen euch herausgreift, um darüber ein Lied zu schreiben und dazu herumzutanzen. Das ist wortwörtlich so«, fügte Alberich hinzu, der nichts auf der Welt so haßte wie Musicals. »Also, jetzt mal ehrlich: Können Sie immer noch – ohne rot zu werden – behaupten, man sollte einem Mitglied dieser schon von den Erbanlagen her unvollkommenen Spezies die Herrschaft über das Universum gestatten?«
»Aber sind wir nicht alle gleich? Verheben sich denn die Götter und Göttinnen nie? Und haben Sie selbst nicht früher mal versucht, sich an die Rheintöchter ranzumachen?«
Alberich zuckte zusammen. »Ja, klar, ab und zu verlieben sich auch die hohen Götter mal. Da haben Sie sich genau die eine Spezies herausgepickt, die noch bescheuerter ist als Ihre eigene. Wir Elementargeister können da viel bessere Leistungen vorweisen. Gut, die Wald- und Berggeister haben sich bekanntermaßen ganz schön lächerlich gemacht, und auch ich habe ein paar schwarze Tage gehabt, das gebe ich gern zu. Aber die Wind- und Wassergeister – unter anderem die Rheintöchter, um ein herausragendes Beispiel zu nennen – haben sich bis jetzt als vollkommen kugelsicher erwiesen. Und selbst wenn wir mal durchdrehen, erholen wir uns sehr schnell und ziemlich leicht davon. Wir begreifen nämlich, wie dumm die Sache ist, und reißen uns dementsprechend zusammen. Sie brauchen mich nur anzusehen. Außerdem haben rangniedrigere Götter, Erscheinungen, Geister und so weiter überhaupt keine Schwierigkeiten damit. Im Ernst, ich halte es für das beste, den Ring einem geeigneteren Träger zu übergeben.«
»Zum Beispiel wem?«
»Meine Bescheidenheit verbietet mir leider, darauf eine Antwort zu geben.«
Malcolm schüttelte betrübt den Kopf. »Natürlich sehe ich ein, was Sie mir erzählt haben«, sagte er. »Sie haben bestimmt recht, da bin ich mir sicher. Aber ich kann Ihnen den Ring nicht geben, so gern ich das auch täte. Ich habe ihn schon Ortlinde versprochen.«
»Aber du … Sie …« Alberich stand auf und setzte sich gleich wieder, wobei er eine Hand auf den Magen preßte. »O nein, hoffentlich kriege ich kein Magengeschwür!« stöhnte er laut. »Nicht auch noch das!«
»Also, mit dem Ring ist das ja mittlerweile eine ganz andere Geschichte«, fuhr Malcolm fort. »Nur wenn ich ihn Ortlinde schenke, kann ich ihr auch beweisen, daß ich sie wirklich liebe. Verstehen Sie nicht, wie wichtig das ist?«
Manchmal, sagte sich Alberich, gibt es noch Schlimmeres als Verdauungsstörungen. »Sie haben mir überhaupt nicht zugehört«, entgegnete er.
»Doch, habe ich. Aber Ortlinde ist für mich nun mal das Wichtigste auf der Welt.«
»Wenn Sie nicht größer wären als ich, würde ich Ihnen den Hals umdrehen«, ärgerte sich Alberich. »Machen Sie sich doch ein Stückchen kleiner, und sagen Sie das dann noch mal.«
Malcolm wollte ihm seinen Standpunkt etwas näher erläutern, aber das war ganz offensichtlich sinnlos. Der Nibelung hatte erwiesenermaßen kein Herz. Malcolm bot seinem Gast noch ein Glas Milch an, doch Alberich wies den Vorschlag kurzerhand zurück und zog beleidigt ab.
Mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, begab sich Malcolm in die Bibliothek, um sich Bestätigung zu holen.
»Hallo«, begrüßte ihn das Mädchen.
»Hallo, Ortlinde«, antwortete Malcolm. »Ist es nicht irgendwie komisch, daß alle Leute, mit denen ich mich heutzutage unterhalte, einen deutschen Namen haben?«
»Du hast doch auch einen deutschen Namen.«
»Nein«, entgegnete er, »denn eigentlich heiße ich ja Malcolm.«
»Das hat mir bisher noch kein Mensch gesagt«, erwiderte Ortlinde. »Ich finde, das ist ein hübscher Name.«
»Ortlinde auch.«
»Danke. Er bedeutet ›der Platz, auf dem die Linde steht‹.«
»Ich weiß.«
Malcolm war recht unbehaglich zumute, deshalb blieb er stehen, wo er war. Auch Ortlinde hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Die Szene erinnerte Malcolm an
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