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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Malcolm wußte nicht, was er sagen sollte. Die Worte prallten von ihr ab wie Pistolenkugeln von einem Panzer. »Dann mußt du mir eben einfach vertrauen«, grummelte er schließlich. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was diese Bemerkung eigentlich bedeuten sollte, aber sie klang fabelhaft. Ängstlich legte er ihr die rechte Hand auf die Schulter. Dabei stieß er zwar auf keinen Widerstand, hatte aber das Gefühl, eine Leiche zu berühren. Eigenartig. Bisher war sie die warmherzigste Frau gewesen, die er je kennengelernt hatte.
    Er verließ die Bibliothek und ging nach draußen zur Auffahrt. Dort hielt gerade ein kleiner weißer Citroen. Es war die aus dem Urlaub zurückgekehrte ›englische Rose‹. Malcolm stöhnte auf. Er spürte, wie in ihm völlig übertriebener Zorn gegenüber dieser Frau aufstieg. Natürlich wußte er, daß es nicht seine Sekretärin gewesen war, die Ortlinde um die Erstellung eines Bibliothekskatalogs gebeten und damit sein Leben verpfuscht hatte. Aber in gewisser Weise war sie doch dafür verantwortlich, und diese Weise paßte Malcolm gerade hervorragend in den Kram – jetzt hatte er nämlich jemanden, dem er die Schuld an seinen Problemen in die Schuhe schieben konnte.
    »Diese verdammte Bibliothekarin, die Sie angestellt haben …«, fing er an.
    »Wie bitte?« fragte die Rose. »Ich habe keine Bibliothekarin eingestellt.«
    »Doch, verdammt noch mal, und ob Sie das getan haben! Linda Walker, Lime Place, Bristol.«
    Die Rose machte ein verblüfftes Gesicht. »Um die Bibliothek zu katalogisieren? Aber, Herr Finger, Sie haben es doch strikt abgelehnt, mir die Erlaubnis zu erteilen, die Durchführung eines derartigen Unternehmens in die Wege zu leiten. Ich habe Ihre Instruktionen in diesem Punkt peinlich genau befolgt. Die Person, die Sie erwähnt haben, ist mir unbekannt.«
    »Oje«, erwiderte Malcolm peinlich berührt. »Dann muß ich mich wohl entschuldigen.«
    Die Rose blickte ihn durch ihre Brillengläser hindurch eigenartig an und fragte: »Ist denn gegenwärtig eine Person mit diesem Namen – also Linda Walker vom Lime Place – für die von Ihnen beschriebene Arbeit eingestellt worden?«
    »Ja.« Plötzlich merkte Malcolm, daß er seiner Sekretärin diesen Vorfall nicht einmal erklären konnte. »Na ja, da sie schon mal hier ist, sollte sie auch mit der Arbeit weitermachen, finde ich.«
    Doch die englische Rose war jetzt anscheinend neugierig geworden. »Handelt es sich dabei zufällig um eine junge Frau?«
    »Ja, ich denke schon.« Sie ist eintausendzweihundertsechsunddreißig Jahre alt, um genau zu sein, dachte Malcolm. Na ja, man ist immer so alt, wie man sich fühlt.
    »Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
    Ehe Malcolm sie zurückhalten konnte, war die Rose schon ins Haus getrippelt. Malcolm folgte ihr zwar sofort, aber seine Sekretärin bewies eine erstaunliche Leichtfüßigkeit. Sie hatte die Bibliothekstür bereits erreicht, bevor er sie einholen konnte, und riß gerade die Tür auf.
    »Um Himmels willen, Lindi!« rief sie erstaunt. »Was tust du denn hier?«
    »Hallo, Mutti«, begrüßte Ortlinde die Rose.
    »Glaub mir, ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun«, sagte ihre Mutter. »Ich wollte doch gerade verhüten, daß so etwas passiert. Schließlich bin ich deshalb ja extra hierhergekommen.«
     
    Malcolm und die beiden Frauen setzten sich kurz darauf im Salon zusammen: Malcolm hatte sich in einen Sessel fallen lassen, in dem er gänzlich zu versinken drohte; die Sekretärin hockte auf der Armlehne eines Sofas; die Walküre Ortlinde, die Erweckerin der Gefallenen, saß auf einem Stuhl mit kerzengerader Lehne und starrte stur auf eine bestimmte Stelle des Teppichs. Ihre Mutter hatte Tee zubereiten lassen, der jetzt in einer Kanne auf dem Tisch stand und allmählich kalt wurde.
    »Und wer genau sind Sie eigentlich?« Malcolm mußte sich zu dieser an seine Sekretärin gerichteten Frage direkt zwingen.
    »Ich bin Erda«, antwortete die englische Rose, »auch bekannt als Mutter Erde.«
    »Aber Sie sind doch Amerikanerin.«
    »Das bin ich auch, aber sozusagen nur durch Adoption. Ich bin in die Vereinigten Staaten gegangen – übrigens lange bevor es dort irgendwelche Staaten gab, ob nun vereinigt oder nicht –, weil ich von meinem Exmann, dem Gott Wotan, so weit wie möglich weg sein wollte. Da er sich geweigert hat, mich meine Töchter sehen zu lassen, gab es für mich keinen Grund mehr, in Europa zu bleiben.«
    »Sie sind also Mutter Erde«, murmelte Malcolm dumpf.

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