»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Lage dazu war. Ohne zu zögern, zerrte sie seinen leblosen Körper auf den Gang, schob ihren engen Rock hoch, setzte sich so versiert auf ihn, dass jeder lebende Mann neidisch geworden wäre, und begann mit der Wiederbelebung. Als der Notarzt an Bord kam, versuchte sie immer noch verzweifelt, ihn ins Leben zurückzuholen. Die Sanitäter mussten sie gewaltsam von ihm herunterziehen. Später bekam sie tüchtigen Ärger, weil sie gegen die FAA -Vorschriften verstoßen und während der Landung nicht angeschnallt auf ihrem Platz gesessen hatte.
Meine einzige Beinahtod-Erfahrung machte ich auf einem meiner ersten internationalen Flüge. Ich weiß nicht mehr, wohin es ging, aber, o Mann, das Essen sah so lecker aus; viel besser als alles, was ich auf meinen Inlandsflügen je bekommen hatte. Rückblickend betrachtet hatte ich wahrscheinlich nur entsetzlichen Hunger, weil ich noch ziemlich neu und ständig pleite war. Doch damals konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand eine so köstliche Mahlzeit entgehen lassen würde. Deshalb tippte ich die schlafende Frau leicht an. Keine Reaktion. Ich strich ihr über den Arm. Immer noch nichts. Als Nächstes hob ich ihre Hand und ließ sie fallen – sie landete ungebremst auf ihrem Schoß. Oje. Nervös sah ich zu meinem Kollegen hinüber. Die Tatsache, dass ihm jeden Moment die Augen aus den Höhlen zu quellen drohten, verriet mir, dass er dasselbe dachte wie ich. Wortlos packte er sie an den Armen und schüttelte sie kräftig. Immer noch nichts. Unsere Gesichter müssen Bände gesprochen haben, denn die Frau auf dem Sitz neben ihr sprang auf und fing an zu schreien. »O mein Gott, o mein Gott!«
Wir checkten Puls und Atmung. Dann räumten wir die ersten beiden Sitzreihen und wollten sie gerade auf den Boden legen, als ihr Mann, der ein paar Reihen hinter ihr gesessen hatte, plötzlich neben uns stand und ihr seinen Fingerknöchel ins Genick rammte – zumindest sah es so aus. Schlagartig riss sie die Augen auf und brach beim Anblick all der besorgten Gesichter vor ihrer Nase in unkontrolliertes Gekicher aus. Mein Herz hämmerte derart, dass ich fürchtete, jeden Moment selber einen Infarkt zu erleiden. Schließlich stößt man nicht jeden Tag beim Getränkeservice auf eine Leiche. Und genauso selten kommt es vor, dass selbige Leiche vor den eigenen Augen wieder lebendig wird und man weiterarbeitet, als sei nichts geschehen – selbstverständlich mit einem Lächeln im Gesicht. In diesem Augenblick beschloss ich, nie wieder einen schlafenden Passagier zu belästigen, zumindest in der Economy-Class, völlig egal, wie grau er oder sie im Gesicht war.
Den meisten Passagieren ist es an Bord wichtiger zu schlafen als zu essen. Zumindest, solange sie selig schlummern. Das ändert sich schlagartig, wenn sie wieder aufwachen und feststellen, dass es das, was sie essen wollten, nicht mehr gibt. Ich musste mich schon oft von Passagieren beschimpfen lassen: von den einen, weil ich sie aufgeweckt, und von den anderen, weil ich es nicht getan habe. In der Holzklasse überlasse ich die Schlafenden ihrem Schicksal. Für ihr Essen, falls es überhaupt etwas gibt, müssen sie nun wirklich nicht aus dem Schlaf gerissen werden. In der First und der Business-Class sieht das anders aus. Nicht etwa, weil das Essen eine Sensation wäre, sondern weil die Leute viel Geld für ihr Ticket hinblättern mussten und nun völlig unrealistische Vorstellungen haben, was den Service angeht. Deshalb gehe ich beim Aufnehmen der Essensbestellungen nach dem Start lieber auf Nummer sicher und berühre den Schlafenden vorsichtig am Arm, damit ich, wenn er oder sie später aufwacht und sich beschwert, dass von den leckersten Sachen nichts mehr übrig ist, behaupten kann, ich hätte es versucht. Bei einem schlafenden Typen in der Business-Class war ich mir allerdings nicht ganz sicher, wie ich mich verhalten sollte. HELLWACH prangte in weißen Großbuchstaben auf seinem schwarzen T-Shirt. Deshalb stand ich eine gute Minute lang mit Papier und Bleistift in der Hand vor ihm und grübelte darüber nach, ob diese Botschaft speziell für diesen Moment gedacht war, um die Auswahl zwischen Rind und Hühnchen nicht zu verpassen. Tja, wegen dieses blöden T-Shirts gelangte ich zu dem – verkehrten – Schluss, dass der Typ Humor hatte.
»Sehen Sie nicht, dass ich schlafe?«, schnauzte er mich an.
»Entschuldigen Sie, Sir. Normalerweise wecken wir die Passagiere nicht, aber Ihr T-Shirt …«
Er drehte
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