»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
sich auf dem großen, behaglichen Ledersitz so weit um, dass ich auch den Schriftzug auf seinem Rücken lesen konnte. Es stellte sich heraus, dass HELLWACH nicht etwa die Beschreibung seines Zustands signalisieren sollte, sondern der Titel eines Films war, von dem ich bis zu diesem Tag noch nie gehört hatte.
Die meisten Flugbegleiter sind heilfroh, wenn die Passagiere schlafen, weil es sich in einer ruhigen Kabine viel angenehmer arbeiten lässt. Es sei denn, ein Passagier verabschiedet sich mitten auf dem Gang. Das kann nur eines bedeuten: ein medizinischer Notfall. Sie können sich meine Verblüffung bestimmt vorstellen, als ich mit einem Tablett voller Gläser aus der Bordküche der Business-Class trat und merkte, dass sich sämtliche Passagiere auf ihren Sitzen umgedreht hatten und mich anstarrten. Keiner rührte sich. Keiner sagte etwas. Nur vierzehn Augenpaare, die wie gebannt auf mich gerichtet waren. In diesem Augenblick fiel mein Blick auf die Frau auf dem Boden. Ich lief sofort zu ihr, während ich einer Kollegin zurief, sie solle über die Lautsprecheranlage nach einem Arzt an Bord suchen.
Ich hatte bislang immer Glück gehabt. Wann immer es einen Notfall an Bord gab, war auch Hilfe zugegen: Ob nun eine Gruppe von Medizinern auf dem Weg zu einem Kongress oder eine Flugbegleiterin, die früher einmal als Krankenschwester oder Rettungssanitäterin gearbeitet hat, es fand sich außer mir immer jemand, der Erste Hilfe leisten konnte. Doch diesmal schien mich das Glück verlassen zu haben. Niemand meldete sich. Ich bat meine Kollegin, es noch einmal zu versuchen, da manche Leute lieber abwarten, ob sich jemand anderes meldet, bevor sie sich selbst bemühen.
Gott sei Dank, dachte ich, als ich hörte, dass nach der zweiten Durchsage nicht nur einer, sondern gleich zwei Passagiere ihren Rufknopf betätigten. Leider entpuppte sich der Mann im weißen Kragenhemd auf der anderen Seite des Gangs nicht als Arzt, sondern wollte nur wissen, ob er noch einen Gin Tonic kriegen könne. Verdammt! Auch die Frau in der First Class war keine Medizinerin, sondern nur eine besorgte Mitreisende. Ihre Besorgnis wäre ja durchaus nett gewesen, hätte sie sich nicht nur um die Frage gedreht, ob sich das, was sich hinten abspielte, womöglich auf ihren Anschlussflug auswirken könnte! In der Zwischenzeit kam die Frau auf dem Boden wieder zu sich, verlor erneut das Bewusstsein und kam ein weiteres Mal zu sich. Ich erfuhr, dass ich eine aufstrebende Modedesignerin in den Armen hielt, die die ganze Woche kaum etwas gegessen hatte. Ich drückte ihr ein Brötchen in die Hand und machte mich wieder an die Arbeit. Das Verstörendste an dem Vorfall war, dass keiner der Passagiere, die das Ganze mitbekommen hatten, sich nach ihrem Befinden erkundigte. Stattdessen galt ihre Sorge eher der Frage, wann denn jemand komme, um nachzuschenken, oder wessen Tablett ich als Erstes abräumen würde. Sie hätten schließlich eine halbe Ewigkeit gewartet und müssten endlich weiterarbeiten.
Auch wenn ich mich extrem vor medizinischen Notfällen an Bord fürchte, hätte ich lieber täglich einen, als ein einziges Mal die Strecke New York – Miami fliegen zu müssen. »Superanstrengend«, »absolut grauenhaft«, »der blanke Horror«, »die Hölle«, »total krank« und »superbesch…« – sind die typischen Vokabeln, die meine Kollegen benutzen, um diese Flugroute zu beschreiben. Es ist eine der schlimmsten, wenn nicht sogar die schlimmste Strecke im gesamten Flugverkehr. Wenn meine Kollegin Sherly nur daran denkt, muss sie sofort eine Valium einwerfen und mit einem Wodka hinunterspülen. Das Problem bei dieser Strecke ist, dass hier Passagiere völlig unterschiedlicher Mentalität aufeinanderprallen. Sperren Sie diese Menschen dazu noch zweieinhalb Stunden lang mit den jüngsten und unerfahrensten Kolleginnen in ein Flugzeug ein, können Sie sicher sein, dass die Sache eskaliert!
Ich versuche alles, um diese Strecke zu meiden, aber wenn ich dann doch das Pech habe, als Reserve gebucht zu werden, bemühe ich mich, schon während des Boardings nicht zu lächeln. Es ist wichtig, von Anfang an klarzumachen, wer hier der Boss ist. Ich will nicht, dass irgendwer zu der (völlig richtigen) Schlussfolgerung gelangt, dass ich diejenige bin, auf der man herumtrampeln darf. Wer am lautesten schreit, ist der Sieger – mit so einer Einstellung scheinen diese Passagiere an Bord zu kommen. Sie sind davon überzeugt, dass die freundlichste Flugbegleiterin das
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