»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
lassen, denn wir knöpfen sie Ihnen ab, wenn wir sie sehen. Beschwerden über zurückgeklappte Lehnen gehören zu den häufigsten an Bord. Eine Frau mit Brillengläsern so dick wie der Boden einer Cola-Flasche rief mich zu sich, um mir zu zeigen, dass sie wegen des Sitzes vor ihr ihren Tisch nicht herunterklappen konnte. Ich erwiderte, vielleicht gehe es ja, wenn sie ihre riesige Bauchtasche abnehmen würde. Sie sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Und erinnern Sie mich bloß nicht an den Dickwanst, der sich über seinen Vordermann beschwerte, obwohl er seinen eigenen Sitz bis zum Anschlag zurückgeklappt hatte.
Der mit Abstand schlimmste Passagier der vergangenen fünfzehn Jahre war Tony Sein-Nachname-fängt-mit-D-an (nicht Danza). Schon als er das Flugzeug betrat, hätte ich wissen müssen, dass er zum Problem werden würde: Obwohl er gar nicht in der First Class saß, war er der erste Passagier, der an Bord kam. Sämtliche Gepäckfächer über den Sitzen waren natürlich noch leer, trotzdem wollte er seinen Trolley unbedingt im Schrank der First Class verstauen und wurde stinksauer, als ich nicht mitspielte. Mir waren die Hände gebunden, denn es verstößt gegen die FAA -Vorschriften, diesen Platz für Passagiergepäck zu nutzen. Außerdem war er auch längst voll, da meine Reisetasche sowie der Rollstuhl eines Mitreisenden darin untergebracht waren. Doch Tony hörte mir überhaupt nicht zu, sondern knallte seine Tasche in ein Gepäckfach der First Class und stapfte davon. Ich folgte ihm und bat ihn, doch eines der Fächer in der Nähe seines Sitzes zu benutzen. Für die Gepäckfächer gilt zwar das Motto »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, doch die Gepäckfächer der First Class sind nun einmal für die Passagiere der First Class, die normalerweise auch als Erste an Bord gehen. Das wusste Tony ganz genau, nichtsdestotrotz war er stinksauer. Nach diesem vielversprechenden Anfang machte Tony den restlichen Flug über einfach so weiter: Von der unzureichenden Aufklärung über eine witterungsbedingte Verspätung von zwanzig Minuten bis hin zu dem Drink, den er während des Landeanflugs nicht austrinken durfte, beschwerte er sich über alles und jeden an Bord. Als ich auf dem Weg zu meinem Klappsitz an ihm vorbeikam, packte er mich rabiat am Arm.
»Ihren Namen!«
Ich nannte ihn ihm. Ich buchstabierte ihn sogar. Dann ging ich nach vorn und warf einen Blick auf die Passagierliste, die sich in solchen Fällen als ausgesprochen praktisch erweist. Ich hatte lediglich getan, wofür ich bezahlt wurde, und war deshalb nicht allzu besorgt. Aber sein Wort stand gegen meines, und da ich mich nicht darauf verlassen konnte, dass er bei der Wahrheit bleiben würde, wollte ich sicherheitshalber meine eigene Version der Ereignisse schriftlich festhalten.
Tja, manchmal vergisst man, genau jenen Brief zu schreiben, den man unbedingt aufsetzen wollte. Allerdings ist es eher ungewöhnlich, dass man eine Woche später in einer anderen Stadt genau dem Menschen in die Arme läuft, über den man sich eigentlich hatte beschweren wollen. An jenem Tag war ich nicht im Dienst und trug folglich auch keine Uniform, sondern wartete als reguläre Stand-by-Passagierin am Terminal auf meinen Heimflug. Deshalb erkannte Tony mich wahrscheinlich nicht, als sich unsere Blicke begegneten. Aber ich muss ihm irgendwie bekannt vorgekommen sein, denn er lächelte. Völlig verblüfft über seine Reaktion erwiderte ich das Lächeln, wenn auch nur schwach.
Keine Ahnung, was dann mit mir passierte. Ich wiederhole es noch einmal: Ich bin kein streitsüchtiger Mensch. Aber an diesem Tag ritt mich offenbar der Teufel. Mit einem Mal spürte ich, wie sich meine Füße in Tonys Richtung bewegten. Es war wie eine Szene im Film: Er wandte sich mir zu, und wir schritten wie zwei alte Freunde oder, schlimmer noch, Liebende, die sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatten, aufeinander zu. Ehe ich mich versah, trennten uns nur noch wenige Meter, und schon kamen die schicksalhaften Worte über meine Lippen.
»Haben Sie eigentlich Ihren Brief schon geschrieben, Tony?« Und während meine Füße sich weiter bewegten, beschleunigte sich mein Puls auf die doppelte Schlagzahl und mein Gehirn fragte sich fieberhaft, was um alles in der Welt mein Mund gerade getan hatte! Ich bereute die Worte, noch bevor sie in der Luft hingen. Ganz ehrlich.
Tony lief rot an und schrie wie ein eruptierender Vulkan: » SIIIIIIEEEEEE MISTSTÜCK! – SIEEEEEE! – SIEEEEEEE!
Weitere Kostenlose Bücher