»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Uhr mittags, und ich war gerade aufgewacht. Die ohrenbetäubende Stille verriet mir, dass ich ganz allein zu Hause war. Normalerweise wäre ich begeistert gewesen, aber heute war kein gewöhnlicher Tag, sondern mein Geburtstag. Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen. In den vergangenen Wochen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken gehabt und war zu dem Schluss gekommen, dass mein Leben echt beschissen war. In Wahrheit hatte ich gar kein Leben. Auch keine Freunde. Noch nicht einmal einen festen Partner! Ich verbrachte meinen sechsundzwanzigsten Geburtstag mutterseelenallein in Queens mit meinem taxifahrenden Vermieter und seinem Bordercollie, der mich nicht mit dem Hintern ansah, selbst wenn ich ihm einen von Janes Bio-Hundekuchen anbot.
Habe ich schon erwähnt, dass Yakov inzwischen bei uns wohnte? Ich meine, richtig mit uns zusammen? Er hatte seinem Kellerverlies den Rücken gekehrt und sich den Wintergarten unter den Nagel gerissen, kurz bevor Tricia ausgezogen war und sich mit ihrem Traummann verlobt hatte. Wir wollten gerade alle Zimmer neu zu verteilen, als wir feststellten, dass Yakov sage und schreibe drei Riegel an der Tür angebracht hatte und damit das winzige Zimmer für sich selbst in Anspruch nahm. Das Ganze war so schnell gegangen, dass Jane noch nicht einmal unseren Zettel (»Mitbewohnerin gesucht. Bitte keine Drama Queens!«) ans Schwarze Brett von LaGuardia hängen konnte. Yakovs Verhalten wurde immer seltsamer: Um sich weiter von uns abzuschotten, verklebte er seine Fenster mit weißem Papier, damit wir nicht hineinschauen konnten. Fast noch irritierender war jedoch der riesige braune Bademantel, der eines Tages neben meinem Trenchcoat in der Garderobe hing.
»Wem gehört denn der?«, fragte ich Jane und hielt das widerliche Ding in die Höhe. Als Jane nur die Hände vor den Mund schlug, ließ ich ihn angeekelt zu Boden fallen.
»Ich hole dir das Desinfektionsspray«, erbot sie sich. Das nenne ich wahre Freundschaft.
Während also unsere Ex-Mitbewohnerin Tricia ihre Tage damit zubrachte, eine rauschende Hochzeit mit ihrem Superduper-Milliardär in den Hamptons zu organisieren – sie hatte den Typen natürlich auf einem Flug kennengelernt –, saß ich zu Hause, wusch meine Wäsche und aß Nudelsuppe aus der Dose. Allein. In einem Haus in Queens, das ich mir mit fünf weiteren Frauen und einem fettleibigen russischen Möchtegern-Hugh-Hefner teilte. Wieso hatte ich mich nicht auf einen Flug einteilen lassen? Dann hätte ich mich wenigstens darüber ärgern können, dass ich an meinem Geburtstag arbeiten musste, und das war immer noch besser, als deprimiert und beschäftigungslos zu Hause herumzusitzen. Niedergeschlagen tat ich, was jede Mittzwanzigerin ohne festen Freund tun würde: Ich rief meine Mutter an.
»Du hast kein Leben? Was willst du damit sagen?«, rief meine Mutter am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund hörte ich meine Schwester lachen. »Bist du nicht heute Morgen erst aus Paris zurückgekommen?«
Das stimmte. Apropos Paris: Ich hatte noch ein Glas Nutella und ein trockenes Croissant in meinem unausgepackten Koffer. Und dann waren da noch eine Flasche scharfe El-Yucateco-Sauce und sechs Päckchen Anti-Baby-Pillen, die ich während eines dreistündigen Aufenthalts in Mexiko City aus einer Laune heraus gekauft hatte. Die hatte ich völlig vergessen. Happy Birthday, Heather!
Jemand mit einem ganz gewöhnlichen Job kann nicht verstehen, wenn sich Flugbegleiterinnen über ihr nicht vorhandenes Leben beschweren. »Ich hatte einen echt miesen Tag« – Sätze wie dieser klingen gleich viel aufregender, wenn man hinterherschieben kann, man habe ihn in Städten wie Paris, Buenos Aires, Rom oder Madrid verbracht. Die Leute glauben, dass wir ständig solche Destinationen anfliegen, dabei kommt ein Großteil von uns kaum über Dallas, Denver oder Des Moines hinaus. Nichts gegen die drei Ds, aber wenn wir sie anfliegen, brauchen wir noch nicht einmal die Funktion der Schwimmwesten zu erklären. Ebenso wie die meisten anderen amerikanischen Großstädte liegen sie nicht in der Nähe eines größeren Gewässers, geschweige denn am Meer.
Ich sagte es bereits: Je länger man bei einer Airline angestellt ist, desto besser. Wer die meisten Betriebsjahre zu verzeichnen hat, darf die tollen Städte im Ausland anfliegen, während wir anderen im Schatten unserer glamourösen Kollegen dahinvegetieren. Eines Tages würde auch ich hoffentlich lange genug dabei sein, um die begehrtesten Strecken
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