»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
zu fliegen, und dafür sorgen, dass der Nachwuchs (und einige Passagiere) in Tränen ausbrachen, weil ich mich weigerte, in Rente zu gehen. (Obwohl es in ihren Augen längst Zeit dafür wäre.) Wozu auch in den Ruhestand gehen, wenn mein Soll mit zwei fünftägigen Trips nach Tokio pro Monat erfüllt ist? Rosenzüchten mag ja ein netter Zeitvertreib sein, aber Sushi mit echtem Wasabi zu essen und im Ginza-Viertel zu shoppen, macht eben doch wesentlich mehr Spaß. Bis es so weit ist, treffen Sie mich allerdings eher in St. Louis, wo ich die Zeit damit totschlage, das Sex-Spielzeug im Hustler Store zu begutachten, oder mir das Super-Sparmenü bei Denny’s genehmige. Beide Etablissements befinden sich direkt gegenüber von unserem Layover-Hotel, das wiederum gleich neben einem Friedhof liegt, wo ich, wenn ich verzweifelt genug bin, zumindest eine Runde joggen gehen kann.
Wann immer ich anderen erzähle, welche Städte ich schon angeflogen habe, blicke ich in enttäuschte Gesichter. Inlandsflüge? Wie öde! Mit Inlandsflügen kann man niemanden beeindrucken. Das ist, als würde man H&M mit einer Dior-Boutique vergleichen. Eine Freundin von mir macht sich einen Spaß daraus, anhand der Einkaufstüten am Trolley einer Flugbegleiterin zu erkennen, ob sie internationale oder nur nationale Ziele anfliegt – Harrods gegen Trader Joe’s. Kein Mensch interessiert sich für die hervorragenden Fisch-Tacos und die schicken Einkaufsmeilen in Orange County, wenn Dee Dee von einem Strand erzählen kann, den Barry Manilow in einem Lied besingt.
Das verstehe ich vollkommen, denn mir geht es ähnlich, wenn ich die Flugbegleiterinnen aus dem Ausland sehe. Sie wirken stets so viel schicker und elitärer, obwohl ich weiß, dass sich ihr Leben nicht allzu sehr von meinem unterscheiden kann und wir uns am Ende des Tages wahrscheinlich am selben Hotelpool wiederfinden. Vielleicht liegt es auch an ihrem Akzent. Oder an ihren Uniformen. Denn irgendetwas sagt mir, dass meine Mitstreiterinnen von Air France keine Röcke aus China, Hosen aus Polen und Blazer aus Guatemala tragen (bei uns passen deshalb auch die Blautöne nicht immer hundertprozentig zusammen, und ich sehe neben meinen ausländischen Kolleginnen wie die arme Verwandte aus der Provinz aus). Eine Zeitlang habe ich mich gefragt, ob mein Arbeitgeber aus Gründen der Chancengleichheit die einzelnen Uniformteile in den verschiedenen Ländern fertigen lässt, die wir anfliegen.
Das erste Mal kam ich im Milford Plaza in New York mit einer ausländischen Crew in Berührung. Das Hotel am Times Square ist vor allem bei Touristen beliebt, die eine billige Unterkunft brauchen. Heutzutage kostet ein Zimmer läppische 109 Dollar pro Nacht, und ich bin ziemlich sicher, dass es zu der Zeit, als meine Airline ihre Crews mit Aufenthalten von zwölf Stunden oder mehr dort unterbrachte, nicht viel teurer gewesen sein kann. Crews mit kürzeren Aufenthaltszeiten stiegen dagegen in Flughafennähe ab. Die Zimmer im Milford sind winzig, die Flure düster, und das Pastrami-Roggen-Sandwich aus dem Restaurant im Erdgeschoss ist auch durchaus fragwürdig. Ich hätte nie gedacht, dass eine ausländische Airline ihre bildhübschen Flugbegleiterinnen mit ihren herrlichen Seidensaris in leuchtendem Gelb, Orange und Rosa in einem Hotel wie diesem unterbringen würde. Irrtum. Und ich konnte kaum den Blick von ihnen abwenden. Ich saß in der Lobby und wartete auf einen Piloten (an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann), der an diesem Abend (den ich liebend gern vergessen würde) mit mir essen gehen wollte, als mein Blick auf das Grüppchen Frauen fiel, die kichernd neben der Rezeption standen. Erst als ein schlaksiger Typ mit dunkelbrauner Haut und einem gewaltigen Schnurrbart in einer viel zu großen Uniform zu ihnen trat und ihnen ihre Zimmerkärtchen reichte, verstand ich: Das waren Flugbegleiterinnen. Augenblicklich schossen mir tausend Fragen durch den Kopf: Wie lange bleiben sie? Dürfen sie allein ausgehen? Wie lange müssen sie arbeiten? Und welches Leben erwartet sie, wenn sie den Dienst quittieren, nachdem sie die ganze Welt bereist haben?
Die Frauen raunten einander dreistellige Zahlen zu, die sie auf die Rückseite ihrer Zimmerkarten kritzelten. Noch während sie zum Aufzug trippelten, betrat die nächste Crew die Eingangshalle – eine ganze Armee von Flugbegleiterinnen mit tiefschwarzem, streng frisiertem Haar, strahlendem, hellem Teint und blutroten Lippen. Dreißig halbhohe Absatzpaare
Weitere Kostenlose Bücher