»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
mit meinen Anekdoten auf Partys oder bei Abendessen mit Freunden schon für so manchen Lacher sorgen. Als ich also zufällig zwei Kolleginnen über einen bevorstehenden Vorstellungstermin bei einer großen Airline reden hörte, beschloss ich, mein Glück noch einmal woanders zu versuchen. Nur für eine Weile, nur so lange, bis ich einen anständigen Job gefunden hatte – vielleicht etwas im Verkauf oder so.
Und so kam es, dass ich, stilsicher, selbstbewusst und bestens vorbereitet, zu meinem dritten Vorstellungsgespräch bei einer Fluggesellschaft marschierte. Knapp drei Monate bei Sun Jet hatten mich gestählt; mir konnte keiner mehr etwas vormachen. Ich hatte mich professionell geschminkt und mein Haar zu einer konservativen Hochsteckfrisur ohne jeden Schnickschnack arrangiert. Ganz so, wie man es von einer ordentlichen Flugbegleiterin erwarten konnte. Während der Gruppenbefragung achtete ich darauf, meine Antworten mit einem eleganten »Service am Kunden« zu würzen, und warf in regelmäßigen Abständen den Begriff »Flexibilität« ein. Und ich beteuere, dass ich mir nicht nur einen Job, sondern eine echte Karriere wünschte, bei einer Airline, deren Uniform ich mit Stolz tragen konnte. Das brachte mir ein aufrichtiges Lächeln ein, und zwar mehr als einmal. Als allen die Karte mit der Begrüßung und den Instruktionen für den Flug gereicht wurde, verlas ich sie mit einem, wie ich hoffte, First- und Business-Class-tauglichen Lächeln, das wie festgenagelt auf meinen Zügen saß. Und dann kam DIE FRAGE : Wieso war ich Flugbegleiterin geworden, abgesehen davon, dass ich viel reisen und neue Menschen kennenlernen wollte? Ich erzählte ihnen, der Reiz liege in der flexiblen Zeiteinteilung. Dann fragten sie, wie ich mich auf dieses Gespräch vorbereitet hätte. Ich zeigte ihnen meine bequemen, aber sehr schicken blauen Pumps und verriet ihnen, wo man sie günstig kaufen konnte. Und auch von der etwas heiklen Aufforderung »Beantworten Sie uns doch bitte die Frage, mit der Sie fest gerechnet hatten, die wir aber nicht gestellt haben« ließ ich mich nicht aus dem Konzept bringen.
Ein Kandidat hat als Antwort auf diese Frage doch tatsächlich all seine negativen Eigenschaften aufgezählt. Nicht ich: »Sie haben nicht gefragt, wann ich mit der Ausbildung anfangen kann. Meine Antwort darauf lautet: heute. Ich bin flexibel und werde da sein, wann und wo auch immer der Ausbildungslehrgang stattfindet.«
Wer hätte bei einer solchen Reaktion widerstehen können?
Beim Psychotest achtete ich darauf, dass bei meiner Selbsteinschätzung auf der Vorderseite genau dasselbe stand wie auf der Rückseite, wo ich angeben sollte, wie meine Familie und Freunde mich wohl sahen, unabhängig davon, ob ich ihre Meinung teilte oder nicht. Allerdings fand die Meinung meiner Schwester keine Berücksichtigung. Ganz ehrlich, außer mit ihr verstand ich mich mit allen hervorragend!
Fünf Minuten später saß ich mit zwei weiteren Flugbegleiterinnen in spe, die zu dem Zeitpunkt noch als Barkeeperin und Krankenschwester arbeiteten, in einem neutralen Transporter und wurde zum »Gesundheitscheck« gebracht. In diesem Moment wusste ich, dass ich den Job hatte.
»Gesundheitscheck« ist das einzige Wort, das eine hoffnungsfrohe Kandidatin nach einem Vorstellungsgespräch bei einer Airline hören will. Denn es bedeutet, dass ernsthaftes Interesse besteht und man gleich auf eine Waage steigen wird. Solange die Bewerberin ein halbwegs normales Gewicht hat und die Notfallausrüstung aus einem Gepäckfach holen kann, den Seh-, Hör- und den Drogentest besteht und auch sonst nichts gegen sie vorliegt, wird das Datum für den ersten Ausbildungslehrgang festgelegt. Aufgrund meiner kurzen Erfahrung bei Sun Jet wusste ich, wie wichtig es war, gleich bei der ersten Runde dabei zu sein.
Denn bei einer Airline ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit das A und O. Sie bestimmt, welche Art von Flugstrecken einem zugeteilt wird, ob man den Rest seines Lebens auf der Reservebank sitzen oder Wochenend- und Feiertagsdienst schieben muss. Und sie entscheidet, ob die Karriere steil nach oben oder direkt in den Keller führt. Berechnet wird sie anhand des Einstellungsdatums, deshalb ist es von größter Bedeutung, einen Platz im frühestmöglichen Ausbildungszyklus zu erwischen. Jeder Tag zählt. Ich brachte den Gesundheitscheck in der Gewissheit hinter mich, dass ich für den Lehrgang zugelassen war, sofern die Airline nicht noch irgendetwas über mich
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