»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
S80, 727, 757, 767, MD 11, DC 10, A300. Jede Woche war ein anderer an der Reihe. Jedes dieser Modelle verfügt über eine unterschiedliche Anzahl an Passagierplätzen, Bordküchen und Toiletten, aber auch Gebrauch und Anordnung der Notfall- und Erste-Hilfe-Kits, die Funktion von Fenster- und Türmechanismen sowie der planmäßige Ablauf einer Evakuierung variieren je nach Maschinentyp. Viele Fluggesellschaften erneuern und verjüngen ihre Flotte im Lauf der Zeit, so dass ihre Angestellten an einem freien Tag in die Akademie kommen und sich für den neuen Typ schulen lassen müssen. Ohne Schulung dürfen sie nicht auf ihm arbeiten. Und da sie im Ernstfall nicht in der Lage wären, eine Evakuierung fachgerecht durchzuführen, gelten sie noch nicht einmal als »klappsitztauglich«. Das heißt, sie dürfen nicht mitfliegen, wenn eine Maschine ausgebucht ist, egal ob sie zu ihrem nächsten Einsatzort oder mit einem Mitarbeiterticket in den Urlaub fliegen wollen.
Jede Bordküche unterscheidet sich durch Größe und Anordnung, deshalb ist der Flugzeugtyp entscheidend für die Gestaltung des Service. Die First-Class-Küche einer 737 ist so winzig, dass selbst eine Coladose keinen Platz auf der »Arbeitsfläche« hat: Direkt über dieser befindet sich der Herd. Um etwas mehr Abstellfläche zu gewinnen, ziehen manche Flugbegleiter einfach einen Servicewagen heraus und parken ihn vor der Eingangstür der First Class. Diesen Trick lernten wir in der Ausbildung allerdings nicht, weil die Airline verlangt, dass die Notausgänge stets frei bleiben. Dabei können die Ausgänge während des Flugs gar nicht geöffnet werden. Ich kann den Sinn dieser Vorschrift auch nicht ganz nachvollziehen. Bei der DC 10 stellt sich exakt das gegenteilige Problem: Ihre Küche ist riesig und dient dem Servicepersonal aller drei Klassen gleichzeitig. Hier werden die Servicewagen unterhalb der Bordküche aufbewahrt, deshalb muss ein Flugbegleiter mit einem Ein-Personen-Aufzug nach unten fahren und während des gesamten Flugs darauf achten, dass die richtigen Wagen zum richtigen Zeitpunkt nach oben gelangen. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass alte Hasen mit einer sadistischen Ader diese Position bevorzugt den Neulingen aufs Auge drücken.
Um herauszufinden, welcher Service auf einem Flug angeboten wird, gibt es eine ganz einfache Methode: Man muss nur sämtliche Wägelchen aufmachen und einen Blick auf die Speisen werfen. Eine Auswahl an frischem Marktgemüse gleich nach dem Start oder Salate, die mit etwas mehr als ein paar Parmesanraspeln garniert und mit einer Auswahl verschiedener Dressings gereicht werden, sind ein sicherer Indikator für einen First-Class-Service. Allerdings waren im Praxisteil unserer Ausbildung, als wir in einer nachgebauten Bordküche unser Wissen unter Beweis stellen sollten, sämtliche Wagen leer, und ohne Speisen und Getränke konnten wir unmöglich die Serviceart erraten. Es gab nur einen einzigen Wagen, eine einzelne leere Tasse (in der sowohl koffeinhaltiger als auch koffeinfreier Kaffee und Tee serviert werden sollten), einen Getränkeeinsatz mit leeren Coladosen, eine Handvoll Plastiktassen und ein paar Styroporbecher. Mehr nicht. Also legte ich eine (echte) Stoffserviette auf ein (echtes) Tablett und bot zwei meiner Kollegen, die mit ihren Handbüchern auf dem Schoß Passagier spielten, etwas zu trinken an. Während wir Smalltalk hielten und ich einen imaginären Wodka Tonic samt Limonenscheibe servierte, machten sich die Ausbilder eifrig Notizen. Keiner beschwerte sich über den Service oder gar das Essen. In unserer Phantasie schmeckte alles phantastisch.
Der Service für die First und die Business-Class auf Langstreckenflügen war eine höchst komplexe Angelegenheit – noch vor dem Abflug wurden Getränke gereicht, später folgten Häppchen und heiße Handtücher, Salate, kleine Vorspeisen mit einer Brotauswahl, diverse Weine, Desserts und vieles mehr. Für die Ausgabe von Zeitschriften und Zeitungen wurden in der First Class dreistöckige Wagen benutzt, ebenso für den Service der Salate und Desserts. Ich war völlig von den Socken, als ich erfuhr, dass die winzigen Getränkewägelchen von Sun Jet bei anderen Airlines lediglich als Dessertwagen dienten. Kein Wunder, dass der Getränkeservice bei meinem alten Arbeitgeber immer eine halbe Ewigkeit gedauert hatte. In der First Class werden Appetithäppchen und Desserts nach dem sogenannten Hufeisen-Prinzip serviert, dabei werden zuerst die Fluggäste auf
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