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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Poole
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wuchs, sollten wir weiterhin tonnenweise Informationen aufnehmen und diese wortgetreu wiedergeben. Wieder und wieder mussten Abläufe geprobt werden, wir lernten in Gruppen bis spät in die Nacht, nur um gleich am nächsten Morgen weiterzumachen. Mein Adrenalinspiegel war wochenlang kurz vorm Überkochen. Es war wie in einer Castingshow, wie American Idol während der Klassiker-Woche: Nur dass wir anstelle eines 70er-Jahre-Songs die Unterschiede zwischen verschiedenen Waffentypen lernen mussten, damit wir, falls wir während des Fluges zufällig eine entdeckten, sofort im Cockpit Bescheid geben konnten. Statt Motown-Tanzschritten übten wir das korrekte Verhalten im Fall einer Notwasserung, eines unerwarteten Druckverlusts in der Kabine und einer geplanten oder ungeplanten Notlandung. Als wir dachten, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, schlug die Paranoia mit voller Wucht zu.
    Sie begann, als wir uns die Grundlagen des First-Class-Service eintrichtern wollten. Man zeigte uns gerade, wie ein Tablett hübsch eingedeckt, sechs Gläser auf einmal darauf balanciert, Wein mit Hilfe einer Stoffserviette eingeschenkt und Kaviar korrekt mit dem Perlmuttlöffel serviert wird, ohne dass eine der wertvollen Perlen herunterfällt. Irgendwann fiel jemandem auf, dass Joseph fehlte. Ich hoffte nur, dass er sich nichts Ansteckendes eingefangen hatte – das war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. In der Mittagspause gingen ein paar von uns nach oben, um nach ihm zu sehen, doch es machte niemand auf. Und als Joes Zimmergenosse an diesem Abend das Zimmer betrat, waren dessen Sachen komplett verschwunden. Es war, als sei die rechte Seite des Zimmers niemals belegt gewesen!
    Natürlich warf sein unerwartetes Verschwinden Fragen auf. Doch wir bekamen keine Antworten. Anfangs dachte ich noch, es hätte etwas mit Josephs Gewicht zu tun. Er war, na ja, nicht gerade eine Gazelle. Aber Georgia war davon überzeugt, dass seine ewigen Witzeleien schuld an seinem Rauswurf waren. Joe hatte uns pausenlos zum Lachen gebracht. Ich hatte seine Witze geliebt! Linda ging davon aus, dass es an seiner sexuellen Orientierung lag. Tatsächlich schien Joe seine weibliche Seite gern auszuleben. Ich kann ihm das nicht verübeln, schließlich trug niemand ein Abendkleid auf so glamouröse Weise wie Joanne, sein Alter Ego. Wir haben nie erfahren, was aus ihm geworden ist, und ich beschloss, mir ab jetzt die Telefonnummern sämtlicher Kurskollegen zu notieren, die mir ans Herz gewachsen waren – nur für alle Fälle.
    Ganz langsam reduzierte sich die Anzahl der Kursteilnehmer von sechzig auf fünfundvierzig. Wir bekamen nie mit, wie jemand das Handtuch warf. In der einen Minute saßen die Leute noch neben einem, in der nächsten waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Das legte den Schluss nahe, dass offenbar jeder unserer Schritte genau überwacht wurde. In unseren Zimmern und Bädern und sogar in den Salz- und Pfefferstreuern mussten Wanzen installiert sein. Wie sonst konnte ein Mitschüler während einer fünfminütigen Toilettenpause spurlos verschwinden? Noch besorgniserregender war die Tatsache, dass auch die Besten von uns, die zweifellos die perfekten Flugbegleiter abgegeben hätten, nicht gegen eine vorzeitige Abreise gefeit waren. Gerade hatten wir noch zusammengesessen und über die verschiedenen Entführer-Typen sowie das richtige Verhalten bei einer Bombe an Bord diskutiert, und zack! – schon war wieder jemand verschwunden. Inklusive Gepäck und allem Drum und Dran. Ohne ein Wort des Abschieds, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Und niemand erwähnte jemals wieder seinen oder ihren Namen. Natürlich trauten wir uns nicht, einen der Ausbilder zu fragen, was vorgefallen war. Dafür hatten wir viel zu große Angst, dass uns dasselbe Schicksal ereilte. Stattdessen saßen wir still und brav auf unseren Stühlen, während unsere Blicke immer wieder zu dem Platz hinüberhuschten, der zukünftig leer bleiben würde. Oh, natürlich gab es Kandidaten, die den Rausschmiss durchaus verdient hatten; zum Beispiel das Pärchen, das beim Fummeln erwischt worden war, als wir uns einen Film über das korrekte Verhalten bei einer Geiselnahme ansahen. Aber bei den meisten kam das Ende völlig überraschend. Wir wussten nie, wer als Nächstes an der Reihe war.
    In der vierten Lehrgangswoche gab es einen Moment, als ich sicher war, dass es mich treffen würde. Ich kam aus der Damentoilette und hatte noch zwei Minuten Zeit, als ein wildfremder Mann auf

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